„Wir fühlen uns wie weggeschmissen“

■ Mitglieder der „36Boys“ wehren sich in einem taz-Interview gegen Vorwürfe / „Wir prügeln keine unschuldigen Kinder“ / Diebstahl hat die Gang verboten / DDR-Bürger „machen die dicken Faxen, obwohl sie überall bevorzugt werden“

Polizeischutz an den Schulen, demagogische Debatten im Abgeordnetenhaus, „Volkes Stimme“ in der 'Bild'-Zeitung: ausländische Jugendliche, in sogenannten „Gangs“ zusammengeschlossen, drohen zur politischen Manövriermasse der Parteien, vor allem der rechten, zu werden. Daß es sich dabei keineswegs nur um Jugendliche türkischer oder arabischer, sondern auch deutscher Herkunft handelt, wird kaum zur Kenntnis genommen. Es wird über sie, aber nicht mit ihnen geredet. Am folgenden Gespräch beteiligten sich Mitglieder der Jugendgang „36Boys“ im Alter zwischen 11 und 19 Jahren. Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

taz: Von Euch wird zur Zeit ein sehr drastisches Bild in der Öffentlichkeit gezeichnet. In der Springerpresse, zum Beispiel in der 'Bild am Sonntag‘ werdet Ihr sogar als „Killerbanden“ tituliert...

Serap: Ich habe mir eine Anwältin genommen und 'Bild am Sonntag‘ wegen Verleumdung verklagt.

Kinder trauen sich wegen der Überfälle von Jugendgangs nicht mehr zur Schule zu gehen. Wie würdet Ihr denn reagieren, wenn das eure Kinder wären?

Serap: Die Kinder brauchen keine Angst vor uns zu haben. Wir prügeln keine unschuldigen Kinder. Das ist ein Gerücht. Ich selbst will sowieso keine Kinder, weil diese Gesellschaft hart ist und immer härter wird. Und wenn ich doch ein Kind hätte, ich würde es in einen Selbstverteidigungskurs schicken.

Warum seid Ihr den „36Boys“ beigetreten?

Ihsan: Wir fühlen uns einfach stark. Außerdem kann man uns dann nie allein auf der Straße antreffen. Alleine wollen wir Skinheads nicht begegnen. Die sind so hinterlistig. Wir haben denen oft Treffpunkte genannt, daß wir gegeneinander kämpfen, aber die sind nie gekommen. Die machen nur einzelne Leute kalt. Aber man weiß sowieso nicht mehr, wer Nazi ist. Das können auch ganz normale Leute sein.

Wenn Ihr Euch in Gruppen bekämpft, bringt das nur gegenseitigen Haß und Ärger.

Serap: Wenn wir uns nicht zeigen, dann sagen sie, „die Kanacken haben Schiß“ und machen unsere Leute erst recht kalt. Jetzt, wo wir uns wehren, verstecken sich die Nazis.

Was glaubt Ihr, dadurch zu erreichen ?

Ali: Wir wollen Gleichberechtigung. Aber eigentlich können wir nicht viel ändern. Wir sind trotzdem stolz darauf, uns gegen Angriffe zu wehren. Die Zeitungen schreiben ja nie, daß Nazis Türken angreifen. Dafür interessiert sich doch kein Schwein. Immer nur, wenn Türkenbanden was machen.

Warum zieht Ihr Jacken ab - oder im Klartext: warum nehmt Ihr anderen mit Gewalt zum Beispiel Jacken, Walkman oder das Geld ab?

Kenan: Manche ziehen wohl ab, weil sie kein Geld haben.

Serap: Ach, Quatsch, die ziehen das so ab. Jetzt haben wir das in der Gruppe verboten. Es gab einige Anzeigen wegen Diebstahl.

Wissen Eure Eltern, daß ihr bei den „36Boys seid?

Ihsan: Die meisten unserer Eltern wissen das nicht. Die wollen nur keinen Ärger mit der Polizei. Sie interessieren sich auch nicht dafür.

Noe: Meine Eltern wissen's. Für sie ist es okay, daß ich zurückschlage, wenn mich Leute schlagen. Aber sie wollen keine Anzeige und Diebstahl.

Was hat sich für Euch seit dem 9.November verändert?

Serap: Es gibt mehr Ausländerfeindlichkeit. Die „Ossis“ kommen hier rüber und machen die dicken Faxen, „Ausländer raus“ und so. Wir leben hier viel länger als sie.

Habt Ihr selbst schlechte Erfahrungen mit DDR-Bürgern gemacht?

Suzan: Schlesisches Tor. Da saßen sechs Ossis in der U-Bahn, so zwischen 25 und 30 Jahren. Die haben Witze über Ausländer gemacht; besonders über Türken. Ich meinte, was das soll und habe „Nazis raus“ gesagt. Einer sagte, „geht doch zurück in eure Heimat“. Er hat mir mit der Zeitung ins Gesicht geschlagen. Ich hab‘ ihn in den Magen getreten und meine Freundin hat ihn auch in den Magen getreten. Es gab 'ne Schlägerei.

Kommen solche Auseinandersetzungen oft vor?

Ihsan: Ja. Die denken doch, wir nehmen ihnen die Arbeitplätze weg, obwohl das gar nicht stimmt. Türkern haben meistens Reinigungsstellen und machen überhaupt nur Drecksarbeiten.

Suzan: Ich seh‘ die Zukunft ohnehin schwarz. Das gibt viele Auseinandersetzungen. Die Ossis kriegen immer mehr Haß auf uns; durch die Presse, durch alles mögliche. Obwohl sie bevorzugt werden vom Staat. Die kriegen Wohnung, Arbeitsplätze, alles. Wir aber haben keine Rechte. Wir fühlen uns wie weggeschmissen.

Von wem erhofft Ihr Euch Hilfe?

Serap: Es gibt 'n paar Leute. Meine Lehrerin, zum Beispiel. Vom Staat vielleicht nur die SPD, aber man kann ja keinem Politiker vertrauen.

Du darfst als Ausländer sowieso nicht wählen.

Suzan: Genau. Wir dürfen nicht wählen und kriegen Extragesetze. So wollen sie erreichen, daß Deutschland nur Deutschen gehört.

Serap: Ja, sie wollen das, aber meinst Du, wir lassen uns das gefallen oder was? Ich werde mich auf jeden Fall wehren.

Welche Schulen besucht Ihr und was wollt Ihr später lernen?

Serap: Ich mache meinen erweiterten Hauptschulabschluß und möchte danach Fachabi machen und Sozialarbeiterin werden.

Ihsan: Ich mach‘ gar nix. Ich bin „Streetfighter“. Ich hab‘ einen Hauptschulabschluß. Vielleicht lerne ich einen Beruf.

Kenan: Ich bin in der Hauptschule. Danach will ich irgendwas arbeiten.

Noe: (der Jüngste von ihnen, „Maskottchen“ der Gruppe) Ich will nach der Realschule Polizist werden.

Das Gespräch führte Saliha Özaytürk