Das Gespenst Amerika

■ Abschließendes zum No-Budget- und zum Low-Budget-Filmfestival in Hamburg

Was die Veranstalter der beiden hanseatischen Filmfestivals, des No Budget Kurzfilmfestivals und des Low Budget Film Forums alljährlich versprechen, wurde in diesem Jahr kaum gehalten. Zwar brüstet man sich einerseits mit Budget -Klassifizierungen, die als filmästhetische Kategorien und Innovation ausgegeben werden. 1990 gerieten die Filmveranstaltungen jedoch streckenweise zu Werkschauen eines sich in alle Richtungen verbeugenden Geschmacks.

Das Kurzfilmfestival, das auch in diesem Jahr wieder damit zu kämpfen hatte, daß ein Programm aus kurzen Filmen fast genau soviel Geld kostet und ebensoviel Arbeit macht wie eine Langfilmauswahl, löste das Problem mit einem bombastischen Programm auf Kosten einer völlig überarbeiteten Festival-Crew. Mit zirka 150.000 DM stand den Organisatoren nur ein Bruchteil des benötigten Geldes zur Verfügung, aber ein Abspecken des Programms stand nicht zur Debatte.

Überraschungen im diesjährigen No-Budget-Programm hatte nur die Visionsbar zu bieten, dort konnten einige der über 900 abgelehnten Filme besichtigt werden. Die Auswahl gipfelte in Filmtiteln Wie überfahre ich mich selbst? Am besten unabsichtlich und 70-sekündigen Videoclips wie Das Muttermal von Johannes Przygodda, worin dem Protagonisten ein runder Schokoladenkeks, ein Muttermal, am Kopf klebt, über das er mit ernster Miene doziert. Das war lustiger als so mancher Beitrag des Wettbewerbprogramms. Zu Recht hatte die Jury für keinen der dort gezeigten Filme einen ersten Preis vergeben mögen. Gleich drei Filme erhielten dafür einen zweiten Preis Die Heldin. Opfer. Der Herd von Sibylle Stürmer, Hoi Polloi von Andrew Kötting und Die unerträgliche Unerklärlichkeit des Unerträglichen von Andreas Horn.

Während es die Organisatoren dieses Festival fertigbrachten, dem Zuschauer unter dem Titel No Budget auch Kurzfilme zu verkaufen, die Produktionskosten von über 100.000 DM verschlangen, gelang es den Low Budget -Veranstaltern, perspektivarme Debatten und ein ohne erkennbare filmästhetische Auswahlkriterien zusammengestelltes Filmprogramm zum Festival des europäischen Films zu erklären. Unter der Prämisse „West trifft Ost“ wurden da westeuropäische, größtenteils aber osteuropäische Filme gezeigt, aus der die beiden Werke Aki Kaurismäkis ob ihrer Eigenart und Qualität einsam herausragten. Gleichzeitig stieg mit Leningrad Cowboys go Amerika und Das Mädchen aus der Streichholzfabrik die Wahrscheinlichkeit, daß dem finnischen Regisseur in nächster Zukunft die Pulverisierung einer Kinoleinwand gelingen wird, so trocken und spröde waren seine Inszenierung, so tragisch und doch ohne Pathos.

In Sachen Euro-Film wollten sich Kinobesitzer, Verleiher, Produzenten und Funktionäre im Albert-Schafer-Saal der Hamburgischen Handelskammer Klarheit verschaffen. An diesem Ort sollte der Ruf Hamburgs als Film- und Medienstadt gedeihen; drei Tage lang wurden Perspektiven des europäischen Films unter besonderer Berücksichtigung der Ost -West-Achse diskutiert. Eine nicht immer glückliche Ortswahl, da Bemerkungen ostdeutscher Kollegen wie: Der Kreisfilmdirektor von soundso eröffnet in den Räumen eines heruntergekommenen Kinos demnächst eine Videobar, oftmals im Gebrüll der benachbarten Börsianer untergingen. Schade, vor allem deshalb, weil derartige Feststellungen ganz nebenbei das Dilemma der Diskussion zusammenfaßten. Während sich Ost und Westfilminteressierte über Möglichkeiten der Zusammenarbeit unterhielten, strebt das Interesse von Verantwortlichen und Publikum, europäische Filmkunst zu fördern, gegen Null. Längst ist der Markt aufgeteilt, zirka 90 Prozent aller DDR-Kinos, hieß es, sind bereits fest in amerikanischer Hand, bundesdeutsche Strohmänner terminieren ratlosen ostdeutschen Kinoleitern mittlerweile ihre Programme mit ausgesuchter Hollywood-Ware, vor Crocodile Dundee, Teil 2 wird „drüben“ Schlange gestanden.

So schien die Diskussion von vornherein zwar berechtigt, aber vergeblich. Bei der Fahndung nach den Modalitäten, die den europäischen Film konkurrenzfähig machen, entstand bestenfalls der Eindruck, in Osteuropa wolle man das Autorenkino neu erfinden, eben jene schwierig zu vermarktenden Filme, die sich damit empfehlen, daß sie in der BRD schon seit fast zwanzig Jahren ums Überleben kämpfen. Ein seltsamer Konsens entstand: Nahezu widerspruchslos wurde die kommerzielle Filmstrecke den Amerikanern überlassen, ebenso einig war man sich in der Vermutung, sich am Vorabend eines großen Bankrotts zu befinden.

Da halfen auch die Angebote wenig, die das europäische Film -, Verleih- und Produktionsförderungsprogramm der EG, Media 92 in Gestalt von Dieter Kosslick machte. Zwar konnte der als einer der wenigen konkrete Hilfe vorschlagen, nämlich ein Budget von 500 Millionen DM, letztendlich mußte aber auch er bekennen: „Wir sind nicht einmal mehr der Blinddarm der amerikanischen Filmindustrie.“ Daß diese allerdings viele ihrer sogenannten Independent-Filme ebenfalls besser vermarktet als die Europäer, ließ Kosslick unerwähnt.

Davon wollte auch Stefan Paul nichts hören. Zwar erkannte der Chef des bundesdeutschen Arsenal-Filmverleihs und der Arsenal-Kinobetriebe: „Die großen Konzerne reden nicht soviel“, die Diskussion um die Qualiät und die Subvention des europäischen Films zettelte er jedoch nicht an. Statt dessen bedachte er Willi Bär mit spitzen Bemerkungen, dem die generelle Abqualifizierung des amerikanischen Kinos auf die Nerven ging und der feststellte, daß der Erfolg des amerikanischen Kinos doch wohl kaum an den 500 Plakaten liegen könne, die ein amerikanischer Konzern pro Filmstart mehr druckt.

Daß ihm Diskussionsleiter Paul nicht ernsthaft widersprach, hat einen einfachen Grund. Bär gehört zu denjenigen in der Filmbranche, mit denen man es sich nicht verderben sollte, die in Cannes auf der Terrasse sitzen und mit Video- und Fernsehrechten dealen. Ein Zusatzgeschäft, auf das auch Stefan Paul angewiesen ist: Vom reinen Kinoverleih können Programmkinobesitzer und Kleinverleiher wie er heutzutage nicht mehr existieren.

Ob allerdings Paul und seine Kollegen speziell am Erhalt und der Förderung des europäischen Films interessiert sind, bleibt nicht zuletzt dadurch fraglich, daß die bundesdeutschen Kleinverleiher noch im letzten Jahr lautstark beklagt hatten, ihnen sei ein Film wie Sex, Lies and Videotapes durch die Lappen gegangen. Auch ein Low -Budget-Film, allerdings ein amerikanischer. Dementsprechend wurde man zum Abschluß des Europäischen Low Budget Film Forums das Gefühl nicht los, daß der Konflikt weniger zwischen Europa und Amerika, als vielmehr zwischen guten Filmen und Junkfood besteht. Um den Unterschied zu definieren, reichen Kategorien wie Entstehungskontinent und Budget eben nicht aus.

Christa Thelen