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Der Looping durchs Ozonloch

Vom Fliegen, Stau und Dampf. Besser, wir fliegen im Wetter, ist die Meinung des Autors, Meteorologe im Fachgebiet Luftverschmutzung  ■ Cletus Ossing

Oh! I have slipped the surly bonds of Earth, and danced the skies on laughter-silvered wings; sunward I've climbed...“ usw. Was natürlich alles Quatsch ist. War schon seinerzeit der Werbeslogan für ein häßliches, glubschäugiges Automobil reichlich überzogen (Opel GTI, „Nur Fliegen ist schöner!“), so ist jede Poesie in Verbindung mit Fliegerei regelmäßig Kitsch. Nix da, das Gefühl von Freiheit hat im engen Luftraum über Europa keinen Platz. Bei Stau in der Garage bleiben

Es kann den mit Flugschein und – nach inquisitorischer Befragung durch PanAm-Sicherheitskräfte endlich mit Bordkarte versehenen – Luftreisenden durchaus passieren, daß der Start in zum Beispiel Mailand sich um eine halbe Stunde im Flugzeug verzögert: Der Zielflughafen, etwa Frankfurt, das Luftkreuz Europas, kann die Annahme des Fluges nicht bestätigen, weil der Himmel dort voller Geigen, i.e. Fluggerät hängt, das erstmal landen will. Auf den Erdboden übersetzt: Frau Vogel darf ihr Auto nicht aus der Garage holen, weil die Straße in der Nähe ihres Büros verstopft ist. Also muß Frau Vogel zu Hause warten, während Herr Luft im Stau steht beziehungsweise Teil des Staus ist. Im Jahr 1984 gab es allein an den 14 Verkehrsflughäfen der BRD über eine Million, 1987 bereits über 1,2 Millionen Flugbewegungen. Für das Jahr 2000 wird von einer Verdoppelung des Passagieraufkommens und einer Verdreifachung des Luftfrachtaufkommens ausgegangen. Wohlgemerkt: Die Zahlen beziehen sich nur auf den zivilen Flugverkehr, Militär- und Sportfliegerei sind darin nicht enthalten. Der Stau wird, wie im Himmel also auch auf Erden, das Verkehrsphänomen der nächsten Jahre sein, die Entdeckung der Langsamkeit steht an. Schall und Rauch

Waren bisher die Flugzeuge vor allem unter dem Aspekt des Lärms wahrgenommen worden, so ist seit einiger Zeit der Dreck, den die Triebwerke ausstoßen, Untersuchungs- und Streitgegenstand. Sagen die einen, daß im Vergleich zur übrigen Emission der Ausstoß durch den Flugverkehr verschwindend sei, so zeigen die anderen auf Ozonloch und Treibhauseffekt. Beide Seiten haben dabei recht, der Sachverhalt selbst ist allerdings nicht unkompliziert.

Obwohl Fliegen aus der Natur der Sache heraus eine internationale Angelegenheit ist, operieren wir zunächst einmal mit nationalen Zahlen: In der BRD verbrauchte nach Angaben des TÜV Rheinland im Jahre 1984 der gesamte Flugverkehr 2,8 Millionen Tonnen an Sprit, davon haben der zivile Flugverkehr 1,6 Millionen Tonnen, die Düsenjäger 1,2 Millionen Tonnen verbraten. „Damit könnte ein PKW –zigmal zum Mond...“ usw. Der PKW könnte das auch sein lassen. Denn die Abgase können Flugzeuge ebenfalls produzieren; bezogen auf die Gesamtemission des bundesrepublikanischen Verkehrs ist das allerdings tatsächlich eher bescheiden: An Kohlenmonoxid (CO) hat der gesamte Flugverkehr mit 0,7 Prozent, an Kohlenwasserstoffen (HC) mit 0,8 Prozent, an Stickoxiden mit 1,7 Prozent und an SO2 mit 2,8 Prozent Anteil.

Die geringen Zahlen sollten über die tatsächliche luftverschmutzende Wirkung des Luftverkehrs nicht hinwegtäuschen. Von Wind und Wetter

Machen wir einen kurzen Exkurs in die Meteorologie, um den Wirkungsmechanismus zu verdeutlichen. In der bodennahen Luftschicht findet durch Turbulenz eine beständige Vermischung der Schadstoffe mit sauberer Luft statt. Die Mächtigkeit dieser Luftschicht ist je nach Jahreszeit, Sonnenstand, vertikaler Temperaturschichtung etc. unterschiedlich; im Sommer ist diese durchmischte Schicht typischerweise 2.000 Meter dick, im Winter nur 100 bis 200 Meter. Ohne diese Durchmischung wären wir schon lange im selbstproduzierten Dreck erstickt. Schadstoffe in dieser Schicht werden durch Regen ausgewaschen oder setzen sich auf Oberflächen aller Art, von Haut bis Blatt, als trockene Deposition ab.

Über dieser Schicht ziehen Hochs und Tiefs umeinander herum, ohne daß der Bodeneinfluß sie direkt stört. Dieser Teil der Lufthülle heißt daher freie Atmosphäre. Schadstoffe, die hier angelangt sind, bleiben entschieden länger in der Luft, weil die vertikalen Austauschvorgänge hier nicht so schnell wie in der bodennahen Grenzschicht ablaufen.

Und oberhalb dieser ganzen Luft gibt es eine Sperrschicht, die Tropopause, die durch übliche Wettervorgänge, etwa Wolken, nicht durchbrochen wird. Über der Tropopause, die je nach Jahreszeit und geographischer Breite sieben Kilometer (im Winter, an den Polen) bis 15 Kilometer (im Sommer, am Äquator) hoch ist, ist die Verweildauer aller Jet-Emissionen nochmals länger. Hier liegt die (mächtig angelöcherte) Ozonschicht.

Das alles deutet uns bereits ein Problem an: Wer sich gemütlich im Flieger rekelt und sich nach all dem Ärger auf Gomera freut, sollte wissen, daß sein Transportmittel in dieser Höhe der einzige Schadstoffemittent ist. Keine faulen Ausreden mit Fingerzeig auf die Düsenjäger: Die will sowieso jeder anständige Mensch abgeschafft wissen. Wer über den Pol fliegt oder übers Meer, sieht da üblicherweise nur Boeings und DCs. Die Rede ist hier von den weltweit rund 7.000 Ziviljets, mit denen die Neckermann- und die Rucksacktouristen in Betonburg und zum Trekking fliegen. Deren Einwirkung auf Ozonschicht und Treibhauseffekt ist nämlich nicht von Pappe. Über den Wolken...

Es ist richtig, daß die Emissionen des Flugverkehrs im Vergleich zu den Emissionen des restlichen Verkehrs sehr gering sind (und noch geringer in Bezug auf die Gesamtemission von Verkehr und Industrie). Lokal, das heißt beispielsweise am Flughafen, ist der Geruch von Freiheit und Abenteuer zwar markant, der entscheidende Unterschied aber ist die Emissions-, also die Flughöhe.

Flugzeuge sind nicht nur die einzigen Emittenten in blauen unbegrenzten Weiten, sondern, und das gilt insbesondere für den Langstreckenverkehr, sie fliegen oberhalb des Wetters, das heißt oberhalb der Tropopause. Das ist das Entscheidende: oberhalb der Tropopause, das heißt in der unteren Stratosphäre tritt ein großer Sprung in der potentiellen Verweildauer der Dreckmoleküle ein, sie leben länger. Stickoxide können so ganz kräftig Laufmaschen in Fräulein Terras Ozonschleier reißen. Sauberes Wasser ist Dreck

Aber was ist denn „Dreck“ in dieser Höhe? Verschmutzung kann man auch definieren als Vorkommen von Fremdkörpern. Und in der Flughöhe „über dem Wetter“ kann Wasser durchaus ein Fremdkörper sein, denn hier, bei Temperaturen unter –50 Grad Celsius ist Wasser ein Spurenstoff, ein Gas, das nur mit wenigen Molekülen pro Kubikmeter vorkommt. Flugzeuge schleppen aber eine Menge Wasser mit sich: im Kerosin. Pro Tonne Kerosin entsteht rund 1,25 Tonnen Wasser (das ist keine wunderbare Materievermehrung, sondern entsteht durch Zusatz von Luft und Verbrennung, fragt Euren Chemielehrer). Das heißt: Wasserdampf ist hier oben Dreck in der Luft. Da er bei derartiger Saukälte sofort zu Eis wird, produzieren die Passagierjets also Eiswolken, Kondensstreifen. Und die wiederum wirken bereits bei sehr geringer optischer Dichte im Treibhauseffekt mit.

Als Zwischenresultat können wir beunruhigt festhalten: 1. Die Einwirkung des Luftverkehrs auf Ozonzerstörung und Treibhauseffekt steht also in unverhältnismäßig hohem Verhältnis zu den relativ geringen Emissionen der „klassischen“ Schadstoffe; 2. vom Wasser haben wir gelernt, daß es Dreck sein kann, das Wa-has-ser. Konfusion: FCKW und Klima

Bei der ganzen in Mode gekommenen Katastrophen –Wellenreiterei ist es nicht verwunderlich, daß beträchtliche Konfusion herrscht, sobald es um die Lufthülle der Er de geht: FCKW, Treibhauseffekt, Ozon, photochemischer Smog, ein wildes Durcheinander findet da regelmäßig statt. Nun mal langsam; das für den Treibhauseffekt verantwortliche Gas CO2 tut zunächst mal dem Ozonschleier nichts, dafür spielen die ozonzerstörenden FCKW kaum eine Rolle beim Treibhauseffekt. Durch den Wasserdampf des Flugzeugsprits allerdings ist hier eine Kopplungsmöglichkeit gegeben, die etwa so funktioniert: der Wasserdampf kristallisiert in der unteren Stratosphäre sofort zu Eiswolken, bei Flügen über dem Wetter, etwa über den Polkappen entstehen daher sogenannte „Polar Stratospheric Clouds“ (PSC), und deren Wasser wirkt, wie wir oben gesehen haben, einerseits als zusätzlicher Treibhauseffekt. Darüber hinaus verwandeln sich die Stickoxide der Abgase mit dem Wasserdampf zu salpetriger Säure, und die ist ein tatkräftiger Ozonkiller.

Daß übrigens in dieser Höhe durch das Sonnenlicht die Stickoxide und Kohlenwasserstoffe der Kerosin-Abgase zu Ozon werden, macht uns nichts aus, Ozon ist hier oben „normal“; wenn derselbe Mechanismus allerdings im Sommer in Bodennähe durch Autoabgase in Gang gesetzt wird, nennen wir das „photochemischen Smog“. Der umgekehrte Weg der photochemischen Reaktion hingegen ist weniger angenehm: die Stickoxide nagen auch am Ozon, sie zerstören also in dieser Höhe den Ozonschleier. Wir wissen: Über den Wolken muß die Verweilzeit wohl grenzenlos sein, die Stickoxid-Moleküle haben also viel Zeit, ihr Unwesen zu treiben.

Und damit ist der Kreis geschlossen: Wasserdampf als Hauptemission der Flugzeuge wirkt in großen Höhen als potentielle Kopplung zwischen den beiden größten anthropogenen Bedrohungen der Athmosphäre: Abbau des hochatmosphärischen Ozons und Eingriff in das Erdklima. Was tun?

Es liegt eigentlich nahe, daß als Allererstes eine recht einfache Maßnahme ausreichen würde, um den größten Schaden zu lindern: einfach tiefer fliegen, unterhalb der Tropopause, das heißt im Sommer über dem Atlantik unter zehn Kilometer, über den Polen unter sieben Kilometer, denn hier ist Wasser reichlicher Bestandteil der Atmosphäre. Und die Fluggesellschaften wissen auch, daß das nötig wäre: Im Oktober 1988 zum Beispiel fand in der Evangelischen Akademie Bad Boll eine Tagung statt zum Thema Flugverkehr und Umwelt, auf der der Vertreter der Lufthansa die „enormen Konsequenzen für die Durchführung des Luftverkehrs“ feststellte, nämlich längere und turbulentere Flüge und höheren Treibstoffverbrauch. Mit Verweis auf die Sachzwänge und den Markt wurde das allerdings gleich wieder relativiert, und im Januar diesen Jahres konnte man denn auch in der Bordzeitschrift für die Passagiere der Lufthansa (“Dies ist ihr persönliches Exemplar...“) immer noch lesen, daß sich die Fluggesellschaft bei der Planung der Flüge bemüht, „über dem Wetter“ zu fliegen, damit die Passagiere es bequem haben. Apres nous la delouge, gelle? Herzlich willkommen

und angenehmen Flug!

Es steht allerdings auch zu befürchten, daß die Mehrzahl der Passagiere, weil sie es einfach nicht besser weiß, vor der Alternative „Kotztüte oder Ozonloch“ sich gegen erstere entscheidet. Daß der von den Malediven an den grünen Strand der Spree mitgebrachte (bösartige?) Hautschaden eventuell durch das Hin- und Herfliegen erst ermöglicht wurde, geht im persönlichen Restrisiko-Kalkül und in Sonne-Wasser-Sand –Euphorie baden. 8,5 Millionen Bundesbürger machten es 1989 den Schwalben nach und flogen in den Urlaub, etwa ein Viertel aller Bundes-Urlauber, und die Fluggesellschaft möchte ich erst mal sehen, die freiwillig die Flüge unterhalb der Tropopause verlegt, wo es unbequemer und teurer wird. Heaven's gate ist das Ozonloch, captain!

Bücher zum Thema:

M.Pfeiffer/M.Fischer: „Unheil über unseren Köpfen? Flugverkehr auf dem Prüfstand von Ökologie und Sozialverträglichkeit.“ Quell-Verlag, Stuttgart 1989

*K.Weyrauther et al. (TÜV Rheinland): „Ermittlung der Abgasemissionen aus dem Flugverkehr über der Bundesrepublik Deutschland.“ Berichte des Umweltbundesamtes 6/89, E.Schmidt –Verlag, Berlin 1989

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