Nonstop zur „Fahndungsunion“

Die Deutschen - Weltmeister im Wettbewerb des Verdrängens  ■ G A S T K O M M E N T A R

Nachrichten: Nach Susanne Albrecht und Inge Viett auch vier weitere (Ex-)Terroristen in der DDR festgenommen. Innenminister Diestel: „Ich werde die teuflische Verbindung zwischen RAF und Stasi aufklären.“ Mir wird schlecht. Ein Feindbild bekommt Konturen in West und Ost.

Im Schlepptau die Nachricht, daß das Zentrale Kriminalamt der DDR Zugriff auf das Inpol-System erhält: „Fahndungsunion!“ Datenschutz? Nebensache. Jetzt werden sie die Sicherheitsgesetze im Nonstop-Verfahren auf die DDR ausweiten. RAF-Pensionäre geben die Legitimation.

Beim Frühstück Gespräch mit einem Kurgast, 55 Jahre. Selbstgefällig spricht er von einem Verbrecherstaat, der schlimmer gewesen sei als das Dritte Reich. Ich bin fassungslos. Mit erzwungener Ruhe rechne ich ihm zwischen Brötchen und Ei die Millionen Massakrierten, Vergasten und zu Tode gehetzten Opfer des Naziregimes vor. Er verschluckt sich nicht einmal, steht nur auf und und geht; weicht einer Diskussion aus und läßt mich mit meiner Wut allein.

17. Juni 1990, Tag der deutschen Einheit. Meine Assoziation dazu: Restriktive Ausländergesetze, Ausweitung des politischen Strafrechts, Arroganz des Kapitals und eine Zwei -Drittel-Gesellschaft, die mehr und mehr Konturen annimmt. Die Abrechnung mit dem Stasi-Staat und die bejubelten Festnahmen von RAF-Angehörigen verdrängen die Kenntnis über die Bedingungen, die den Terrorismus erst möglich gemacht haben: Die Unfähigkeit einer Generation, zu trauern und sich zur eigenen Schuld zu bekennen, die jetzt mit „der Gnade der späten Geburt“ ihren Selbsthaß auf Ex-Terroristen und Stasi -Staat übertragen kann, ohne daß sie großen Widerspruch ernten wird.

So lange wir Deutschen unsere Verstrickung mit dem Faschismus nicht als Teil unserer Geschichte annehmen, solange wird auch jeder Versuch einer Aufbereitung oder gar Bewältigung der Stasi-Vergangenheit eine Farce bleiben müssen.

Im On-line-Verfahren zur deutschen Einheit: Wenn wir nicht Fußball-Weltmeister werden sollten, bleibt uns doch zumindest eines - die Gewißheit, Weltmeister im Wettbewerb des Verdrängens zu sein.

Manfred Mahr

Der Autor ist Polizeioberkommissar in Hamburg und Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten