: Keine Recherche in Stasi-Akten
■ Für den illegalen Gang ins Archiv der Staatssicherheit soll nur das staatliche Auflösungskomitee verantwortlich sein
Berlin (taz) - Innenminister Peter-Michael Diestel (DSU) bestreitet vehement, vor der Volkskammer gelogen zu haben. Zu den Vorwürfen war es gekommen, nachdem der Volkskammerabgeordnete Gauck (Neues Forum) den Minister am 30.Mai in der Volkskammer gefragt hatte, ob es zuträfe, daß auf seine vertrauliche Anweisung hin in den Archiven der Staatssicherheit nach einer belasteten Vergangenheit von Volkskammerabgeordneten recherchiert worden wäre. Diestel hatte geantwortet, daß dem nicht so sei - er deswegen auch keine Konsenquenzen zu ziehen habe.
Den Sachverhalt (taz vom 8.6.) ließ Diestel indes in einer vierseitigen Presseerklärung im wesentlichen bestätigen - nur: Er habe dafür keine Verantwortung zu tragen. Für eine Pressekonferenz am 16.Mai hatte Diestel veranlaßt, daß ihm die Ablichtungen dreier willkürlich ausgewählter Stasi-Personalakten auf den Tisch gelegt werden. Er sei davon ausgegangen, daß die geltenden rechtlichen Regelungen selbstverständlich „strikt“ eingehalten wurden. Tatsächlich wurden aber beim Gang ins Archiv die Siegel der Bürgerkomitees gebrochen, ohne daß einer ihrer Mitarbeiter anwesend war. Übergangen wurden auch die drei Regierungsbevollmächtigten, deren Zustimmung eingeholt hätte werden müssen. „Entgegen dem Wunsch des Minister“ wurden darüber hinaus die Ablichtungen „auch nicht von den Akten Verstorbener, sondern von den Akten Lebender gefertigt“.
In der Erklärung des Innenministeriums wird weiter bestätigt, daß Diestel eine Notiz des Erfurter Bürgerkomitee -Mitglieds Mathias Büchner mit den Namen mehrerer Spitzenpolitiker, die für die Stasi gearbeitet haben sollen, an das staatliche Auflösungskomitee weitergereicht hat. Das Komitee habe durch Einblick in die zentrale Kartei auch festgestellt, daß die Namen auf Büchners Zettel darin erfaßt sind. Um eine „gezielte Recherche“ hätte es sich aber nicht gehandelt. Eine solche sei vom Minister auch nicht angewiesen worden.
Im Zusammenhang mit den beiden Vorfällen sei es im Komitee
-und es wird betont, daß es zu diesem Zeitpunkt noch nicht dem Innenministerium unterstellt gewesen sei - „zu mehreren bedauerlichen Vorkommnissen“ gekommen. Die Verantwortung dafür trage ein leitender Mitarbeiter des Staatlichen Komitees, gegen den eine Disziplinarstrafe verhängt wurde. Dementsprechend hätte sich auch in der letzten Sitzung des Innenausschusses keine Mehrheit für eine Rüge an den Minister gefunden. Diestel kündigte an, „mit geeigneten rechtlichen Mitteln“ gegen die Behauptungen vorzugehen, er habe vor der Volkskammer eine Falschaussage gemacht.
Wolfgang Gast
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