Salzgitters Rolle in der Rabta-Affäre

Staatsanwalt ortet „eklatante Widersprüche“ zwischen öffentlichen Äußerungen des Salzgitter-Konzerns und Aussagen im Mannheimer Rabta-Prozeß / Gegen SIG-Manager wird weiterhin ermittelt / Salzgitter-Chef Pieper weiß, „wie Bonn funktioniert“  ■  Aus Mannheim Th. Scheuer

Nach dem Geständnis von Jürgen Hippenstiel-Imhausen (taz vom Donnerstag) rückt der Salzgitter-Konzern immer stärker ins Zentrum der Affäre um die vermeintliche Giftgasfabrik im libyschen Rabta. Und damit auch Bonn: Von dem damaligen Staatskonzern führt eine direkte Linie in den politischen Verantwortungsbereich der Bundesregierung.

Nach zweitägigem Schweigen gestand Hippenstiel-Imhausen am Mittwoch vor dem Mannheimer Landgericht seine führende Beteiligung an Planung und Bau jener mysteriösen „Chemie -Anlage“ in Libyen ein, bei der es sich nach einhelliger Ansicht westlicher Geheimdienste und Regierungen um eine Fabrik zur Herstellung chemischer Kampfstoffe handelt.

Damit hat der 49jährige Industrielle im Prinzip die Vorwürfe der Anklage bestätigt, die ihm die Verletzung des Außenwirtschaftsgesetzes sowie Steuerhinterziehung vorwirft. Gutachter und weitere Zeugen sollen in der kommenden Woche den Nachweis führen, daß es sich bei der „Mehrzweckanlage“ in Rabta tatsächlich um eine Giftgasküche handelt. Dabei geht es nur noch um die Höhe des Urteils.

Eine neue Dimension

Das Geständnis des Imhausen-Managers enthielt jedoch eine Detailaussage, die eine neue Dimension des Skandals eröffnet: Seinem langjährigen Freund und Geschäftspartner Andreas Böhm, seines Zeichens Geschäftsführer der Firma Salzgitter Industriebau (SIG), habe er im Spätherbst 1984 während eines Treffens in Hongkong den wahren Standort des Projekts „Pharma 150“ anvertraut: „Offiziell in Hongkong, inoffiziell in Libyen.“ (In Hongkong wurde unter dem gleichen Projektnamen zur Tarnung des Libyen-Deals eine um zwei Drittel kleinere Arzneimittelfabrik gebaut.)

Als Subunternehmen lieferte SIG für „Pharma 150“ die sogenannte Detailplanung. An den Blaupausen für Rohrleitungen, Elektronik usw. arbeiteten zeitweise bis zu vierzig SIG-Leute. Als im Januar 1989 erstmals ruchbar wurde, daß Imhausen in Libyen SIG-Pläne verbaut hatte, stritt der Konzern zunächst alles ab. Später hieß es, SIG sei von Imhausen getäuscht worden und werde Strafanzeige gegen die Lahrer Firma erstatten. Die ist bis heute bei keinem Staatsanwalt eingegangen. Vielmehr ermittelt die Mannheimer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität gegen Andreas Böhm und zwei weitere SIG-Manager.

Die politische Brisanz des SIG-Engagements in Rabta liegt auf der Hand: SIG ist ein Tochterunternehmen des Salzgitter -Konzerns; der wiederum zählte bis zu seiner Übernahme durch die Preussag AG im letzten Herbst zum „industriellen Bundesvermögen“. Als hundertprozentiger Staatskonzern stand Salzgitter samt SIG-Tochter unter der Aufsicht des Bundesfinanzministers. Salzgitter verfügt über reiche Libyen -Erfahrung: An der Spitze eines deutschen Konsortiums klotzte die Firma in den siebziger Jahren dort den Chemie -Komplex Abu Kammash in den Sand. US-Geheimdienstler vermuteten schon mal, daß dort zeitweise ein Teil des in Rabta produzierten Giftgases Lost gelagert wurde.

Wieviel wußte die SIG?

Indizien dafür, daß die damalige Bundesfirma SIG von Anfang an in das Versteckspiel um Rabta eingebunden war, womöglich gar frühzeitig die Giftgas-Problematik witterte, hatte dem Landgericht Mannheim schon am Montag dieser Woche, also am ersten Prozeßtag, ein Zeuge aus Salzgitter geliefert: Egmar Wolfeil, der Syndikus der SIG. Im Sommer 1984 wies das Braunschweiger Hauptzollamt die SIG auf eine Änderung der Ausfuhrliste hin: Genehmigungspflichtig seien ab sofort auch der Export von phosphororganischen und anderen hochtoxischen Verbindungen sowie Anlagen und Anlagenteilen für deren Herstellung. Hintergrund dieser Ergänzung: kurz zuvor war die Beteiligung deutscher Firmen am Giftgas-Projekt Samarra im Irak aufgeflogen. Bestimmte Phosphor-Verbindungen dienen als Ausgangsstoffe für den Kampfstoff Lost (gleich Senfgas).

SIG-Syndikus Wolfeil erhielt damals den bemerkenswerten Auftrag zu prüfen, ob die neuen Bestimmungen auch Fertigungspläne erfaßten. Als bloße Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für den betriebseigenen Syndikus oder aus Neugierde wird die SIG-Führung diesen Prüfungsauftrag wohl nicht erteilt haben.

Einen Grund dürfte es auch gehabt haben, daß Wolfeil gedrängt wurde, seinen wohlfeilen Schriftsatz an das für Exportkontrolle zuständige Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn nicht auf SIG-Papier aufzusetzen, sondern den Briefkopf seiner privaten Kanzlei zu benutzen. Man habe wohl „die Aufmerksamkeit nicht auf die Firma ziehen wollen“, erklärte sich und dem Gericht der Zeuge Wolfeil diesen Umstand. Pikantes Detail am Rande: Den SIG-hausinternen Verteilervermerk ziert ein handschriftlicher Zusatz „Hippenstiel“. Das alles wohlgemerkt im Sommer 1984. Staatsanwalt Hans-Heiko Klein ortet nun „eklatante Widersprüche“ zwischen den öffentlichen Erklärungen Salzgitters und den Einlassungen Hippenstiels im Prozeß.

Was wußte Bonn...

Die nebulöse Rolle des Konzerns in der Giftgas-Affäre könnte die Verbissenheit erklären, mit der die Bundesregierung um die Jahreswende 1988/89 zu verdunkeln suchte. In seinem Bericht an den Bundestag vom Februar 89 berichtete der damalige Kanzleramtsminister Schäuble von einem Telex der Moskauer Botschaft vom Sommer 85 an das Außenministerium, in dem Bonn angeblich zum ersten Mal auf Imhausens Libyen-Deal und sogar auf den Giftgasverdacht aufmerksam gemacht wurde.

...und was Salzgitter?

Was Schäuble den Volksvertretern geflissentlich verschwieg, enthüllte letzten Dezember das TV-Magazin „Panorama“: Der Verfasser des Telex hatte seine Informationen direkt von einem befreundeten Salzgitter-Manager. Auf dem Schreibtisch eines AA-Beamten landete das berühmte Moskauer Telex damals zeitgleich mit ersten Hinweisen auf die Beteiligung Salzgitters an einem weiteren Exportskandal: der illegalen Lieferung von U-Booten an Südafrika, die erst ein Jahr später öffentlich werden sollte.

Seit wann und was die Chefetage bei Salzgitter vom Rabta -Geschäft der SIG-Tochter wußte, ist unklar. Jedenfalls beteiligte sich Konzernchef Ernst Pieper rege am Vertuschen der SIG-Rabta-Connection. Per Fernkopie (das Fax liegt der taz samt weiteren Schreiben vor) teilte Pieper noch am 20. Januar 1989 dem Leiter des Ministerbüros im Finanzministerium, Hans Reckers, mit: „Die Konzernrevision hat in den umfangreichen Unterlagen nicht einen einzigen Hinweis auf Libyen gefunden.“ Telefonisch vergatterte er seine Manager. Gegen zwei von ihnen wird mittlerweile wegen Strafvereitelung durch Falschaussage ermittelt.

Auch den Manager, der sich in Moskau einem Botschaftsbeamten anvertraut hatte (er hat den Konzern gegen eine hohe Abfindung verlassen), traktierte Pieper mehrmals persönlich telefonisch.

Besonders aber die Strippe zu Bonns Finanzstaatssekretär Hans Tietmeyer lief heiß. Man kennt sich aus alten Tagen: Pieper war früher selbst als Leiter der Abteilung VIII im Finanzministerium zuständig für die Kontrolle aller Bundesunternehmen. Er weiß, rühmt sich der Topmanager, „wie Bonn funktioniert“. Für dieses Wochenende hat Pieper überstürzt den Aufsichtsrat des Preussag-Salzgitter-Konzerns zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengetrommelt.