17. Juni 1990: Der Tag der deutschen Einheit?

■ Überraschende Anträge in der Volkskammer, den sofortigen Anschluß der DDR an die BRD sofort zu beschließen / Zweidrittelmehrheit schon für die Beratung

Berlin (taz) - Wird der 17. Juni 1990 zum wirklichen Tag der deutschen Einheit? Völlig überraschend wurde am Sonntag nachmittag ein gemeinsamer Antrag der Volkskammer-Fraktionen von CDU/DA, SPD und Bündnis 90/Grünen angekündigt, den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 sofort zu erklären. Für die Aufnahme des Punktes auf die Tagesordnung fand sich bei Redaktionsschluß die erforderliche Zweidrittelmehrheit; der interfraktionelle Antrag wurde zurückgezogen und gegen einen der DSU ersetzt. Ursprünglich hatte die Volkskammer auf ihrer Sonder sitzung nur das umstrittene Treu handgesetz verabschieden sol len.

Den sofortigen Anschluß hatte schon am Freitag eine Gruppe von Abgeordneten aus der Fraktion von Bündnis 90 und Grünen verlangt. 12 der 20 ParlamentarierInnen wollten ihn unterstützen, weil mit dem Staatsvertrag ohnehin die DDR -Verfassung außer Kraft gesetzt sei. Auf der Tagesordnung der Volksammer hatten außer dem Treuhandgesetz auch weitere Verfassungsänderungen gestanden, um die DDR-Konstitution dem Staatsvertrag anzupassen. In stundenlangen Beratungen hatten auch die Abgeordneten der CDU/DA und der SPD den juristischen und politischen Schwebezustand diskutiert, in dem sich das Land befindet.

Die Initiative war vom Volkskammer-Vize Wolfgang Ullmann ausgegangen, weil die Mehrheit den Verfassungsentwurf des Runden Tisches abgelehnt hatte. Der Nachrichtenagentur 'adn‘ hatte Außenminister Markus Meckel noch am Freitag gesagt, das Beitrittsbegehren zum jetztigen Zeitpunkt sei eine Katastrophe: „Wir würden auf keinen Fall zustimmen“. Das PDS -Blatt 'Neues Deutschland‘ hatte berichtet, unter den konservativen Kreisen sei diskutiert worden, den Antrag zwar nicht mit einzubringen, ihm aber zuzustimmen. Bekannt wurde am Sonntagmittag nur, daß der Antrag von der PDS und von acht Fraktionsmitgliedern des Bündnis 90 abgelehnt wurde.

Wegen der Verzögerungen mußten sich die Abgeordneten auf eine Nachtsitzung gefaßt machen; ob es noch zur Beratung des Treuhandgesetzes kommen würde, war bei Redaktionsschluß ebenfalls unklar. Bundeskanzler Kohl, der zuvor an den gemeinsamen Feierlichkeiten der beiden deutschen Parlamente zum Gedenken an den 17. Juni teilgenommen hatte, wollte zum ersten Mal an einer Volkskammer-Sitzung teilnehmen.

Weil der Antrag der DSU nicht innerhalb der vorgeschriebenen Zeit an das Präsidium gegangen war, hatte zunächst eine Zweidrittelmehrheit die Aufnahme des Punktes auf die Tagesordnung beschlossen. Die konservativen Fraktionen stimmten weitgehend dafür, eine knappe Mehrheit der SPD - unter anderem mit Meckel - und die PDS stimmten dagegen.

diba