Das Ende der AL?

Das Ja der AL zur Koalition - und die Folgen  ■ K O M M E N T A R

Nach dem Abstimmungsergebnis am Samstag abend waren selbst die Antragsteller überrascht: Mit einem so eindeutigen Votum für Rot-Grün hatte niemand im Saal gerechnet. Auf der Vollversammlung (VV) ist die richtige Entscheidung getroffen worden. Trotz aller Schwierigkeiten im Alltagsgeschäft der Regierungsbeteiligung und trotz aller berechtigten Kritik am Führungsstil des Regiermeisters und dessen Abgehen vom vereinbarten Konsensprinzip: Ein Ausstieg der AL aus der Koalition, wahrscheinlich nur ein halbes Jahr vor Gesamtberliner Wahlen, hätte das Aus für Rot-Grün in Berlin auf Dauer bedeutet.

Das Reden von der „Jahrhundertchance“ war von Anfang an eine schwere Hypothek für die Koalition, dadurch waren die Erwartungen allzu hochgeschraubt. Wenn es je Sinn haben sollte, dann jetzt: Trotz der für den „normalen“ Menschen kaum noch zu ertragenden dauer-„historischen“ Augenblicke, die einen in Berlin verfolgen, sind Gesamtberliner Wahlen die Chance, die geeinte Stadt weder den Konservativen noch einer großen Koalition zu überlassen. Die Hoffnung, jetzt aus Rot-Grün auszusteigen, um in einem halben Jahr erneut damit anzutreten, ist Augenwischerei. Rechnerisch ist eine Mehrheit für Rot-Grün möglich, und es wäre ein „historisches“ Versagen der Linken, diese Chance nicht wahrzunehmen und statt dessen einem Zustand nachzutrauern, der unwiederbringlich vorbei ist - auch wenn man sich die Einigung, wenn überhaupt, weder in dieser Form noch in diesem Tempo gewünscht hat.

Zu glauben, daß sich der Zustand der Koalition jetzt automatisch verbessert, ist aber eine Illusion. Die tägliche Auseinandersetzung mit der SPD wird durch das Votum nicht einfacher, und die AL ist in bedenklicher Weise polarisiert. Sowohl Teile des Parteivorstandes als auch der Fraktion haben einen Antrag mitunterzeichnet, der als „Koalition jein, aber“ bezeichnet werden muß. Er hätte, strategisch geschickt, den Bruch am nächsten inhaltlichen Streitpunkt bedeutet - aller Voraussicht nach an der Zustimmung zum Staatsvertrag. Nicht zuletzt der Popularität der AL -Senatorinnen ist es zu verdanken, daß dieser Antrag keine Mehrheit fand. Die Gefahr der Spaltung ist damit nicht gebannt. Das Liebäugeln mit der ehemaligen Staatspartei PDS, das bisher nur als Koketterie vorhanden war, wird jetzt konkret. Der Übertritt eines Teils der AL zur Gysi-Partei, der mit seinem Charisma die Gehirne vernebelt, ist in greifbare Nähe gerückt. Ob bei den zu erwartenden ideologischen Flügelkämpfen die dringend notwendige Strukturreform der „Liste“ stattfinden kann, ist zu bezweifeln.

Kordula Doerfler