ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Es gibt gar keine Transzendenz

Was ist das denn? Die letzte Zuckung der Neuen Deutschen Welle? Gute-Laune-Musik für den Sommer? Pop für Cabrio -Fahrer? Nichts spricht zunächst dagegen, also muß es wohl so sein. Mächtig schwillt die Hammondorgel, Banjoklänge künden vom fernen Texas und Hallgitarren spielen die Sehnsuchtsmelodie. Die Titel heißen: Ich kann nichts dafür oder Fünf Hecken aus Rio und scheuen weder Sambarhythmus noch Bläserakzent, im Gegenteil: Sie langen tief in die Klischeekiste und bringen obendrein noch sangesfrohe, an Schlagervorbildern geschulte Stimmen zum Einsatz. Die „Merricks“ aus München, so scheint es, spielen immer noch zum Tanztee im Ritz auf, wo internationale Evergreens längst deutsche Fröhlichkeit angesetzt haben.

Dann entdeckt man irgendwo im Kleingedruckten den Namen Thomas Meinecke und wird stutzig. Meinecke, Moment mal, war das nicht der, der mit seiner Band Freiwillige Selbstkontrolle amerikanisches Liedgut auf deutsch zersang und zerspielte? Von „Dekonstruktion“ war damals die Rede und von „affirmativer Strategie“. So kann man natürlich auch verstehen, was die Merricks machen: Sie spielen mit lustiger Note all das aus sich heraus, was an Kitschmelodien in sie hineinkolonisiert worden ist, von Johnny Guitar und Ol'Man River über den Klang der Balalaika, der Sehnsucht heißt, bis hin zu Fernsehseriendramatik und Reklame-Singalong. Musik, in der Sputnikschock, Kubakrise und erster Kaugummi auf immer zu einem harten Kern von Sentiment gefroren sind. Sieht man die Musik der Merricks vor dem Hintergrund des Meinecke-Konzepts, so sind sie eine Band, die revueartig hörbar macht, was für ein buntes deutsch-amerikanisches Tanzorchester in der Kollektivpsychose vor sich hindröhnt.

Aber wer hört diese feine Bewußtmachung schon noch, deren Kommentarcharakter nur in einem gezüchteten Dilettantismus und in eigener Freude am polierten Klischee besteht? Vor allem aber: Wer mag sie noch in einer Zeit, wo Udo Jürgens mit den deutschen Nationaljungs schon wieder auf dem Brenner steht und das Original Naabtal-Duo Fleetwood Mac von den vorderen Plätzen der Hitparade verdrängt? Thomas Meinecke hat sich wohl nicht umsonst auf den Produzentensessel zurückgezogen.

„Es ist an der Zeit, daß deutsche Musiker Stellung beziehen zu den historischen Meldungen, die uns seit einem halben Jahr um die Ohren fetzen“, wird dagegen im Waschzettel zur neuen LP der „Kastrierten Philosophen“ vesprochen. Was heißt das? Für Form, Aussage und Gegenstand? Offenbar in jedem Fall nichts Gutes. Schon auf dem Cover sieht man Totenhemd und Totenkrawatte, und wenn man es aufblättert, folgen Totensandale, Totenkehrbesen, Rattenschwanz (tot), Totenkonservendose und Totenplastikmüll. Auf dem schwarzen Vinyl dann auch Todessongs. Auf zwei Stücken wird aus aktuellem Anlaß deutsch gesungen. „Dem Gotte der Zerstörung frönen sie, dem Gott der Selbstkasteiung“, lautet eine mahnende Zeile aus Zucker, und auf dem Titelstück Leipzig D.C. ächzt Katrin Achinger: „Heim ins Reich über die Mauer mit Gegröhle/ werden geführt des wüsten Feindes Opfer/ Kassen klingeln/ Die Pfeffersäcke halten sich die Bäuche vor/ Lachen bis es ihnen vergeht.“ Grober Klotz auf krude Sachverhalte? Antikapitalistische Haßhammerlyrik? Wie auch immer, hier wird sowohl textlich wie thematisch wie auch im Sound geklotzt. Gastmusiker fuhrwerken wild und bedrohlich im Arrangement herum, angeheuerte Jazzer haben Free -Ausbrüche, und vom Fall der Mauer über die Niederschlagung der chinesischen Reformbewegung bis hin zur Panamainvasion geht es um schlichtweg alles. Stellung zu nehmen bedeutet für die Kastrierten Philosophen offenbar, den wunden Finger auf weltweite Fäulniszusammenhänge zu legen. „America is a Virus“, heißt es im letzten, teilweise spanisch gesungenen und auf die Quällänge von 16 Minuten 45 Sekunden gestreckten Song. (US-) Amerika ist böse, ja. Doch what can a poor girl do, außer das Leid der Welt derart effektvoll musikalisch in Szene zu setzen? Natürlich nichts, und man will's ja zufrieden sein. Warum müssen dann aber auch noch unbedingt „mikrobe Splitter in zarte kleine Mädchenhaut“ getrieben werden und der „giftige Qualm ihrer schleimigen Begierden“ aus der Seele emporquellen? Warum muß alles gleich wieder so dämonisch wesen, weben und wabern? Schade, das antideutscher Düster-Trash nicht ohne urdeutschen Ecce-Homo-Schwulst auskommt.

Nee, dann soll der Ami doch lieber dableiben und zumindest seine schöne Nuschelsprache nicht abziehen. Damit es auch in Zukunft noch Bands wie „Baby You Know“ aus Alteglofsheim bei Regensburg geben kann. Doch was red‘ ich, solange es Schallplatten hat, ist da wohl nichts zu befürchten. „I don't believe in anything except 'Blood on the Tracks'“, lautet das eindeutige Glaubensbekenntnis von Sänger Erhard Grundl. Konsequenterweise schreibt die Band, die in der selbstgewählten dörflichen Isolation hart an einem originalen Countryfeeling arbeitet, Heimklassiker in der Tradition Dylans. Vor allem in Nicht must fall greint Grundl sehr bekannt auf - und trifft den Ton, beziehungsweise verfehlt ihn vorbildlich. Ein weiterer Einfluß sind die australischen Go-Betweens (deren Robert Forster auf dem Eröffnungsstück Gitarre spielt), und auch hier geht die Annäherung so weit, daß Grundl auf dem Coverfoto schon wie Forster ausschaut, während Karin Bäumler, die Geigerin der Band, Amanda Brown (ebenfalls von den Go-Betweens) zum Verwechseln ähnlich sieht. „The river of pity it flows and it flows“ heißt es im letzten Stück der Platte. Die Baby Boomer-Generation tritt das Outlaw-Erbe an, und so bleiben Nashville, New York, Melbourne und Adelaide auf wunderbare Weise in Alteglofsheim lebendig.

Die beste deutsche Platte der letzten Wochen kommt aber aus Essen/Haltern - von einer Band, die sich „Die Regierung“ nennt. Sie singt dementsprechend auch deutsch: „Renn rüber zur anderen Seite/ find die Tür auf die andere Seite/ Aber ist da 'ne Tür/ ist da wirklich 'ne Tür/ Da ist keine Tür/ ist da 'ne andere Seite/ Ich kam nie rüber bis zur anderen Seite.“ Diese späte Halterner Antwort auf das Break on through to the other side der Doors finde ich genial. Es gibt gar keine Transzendenz. Man kommt einfach nicht raus und rüber, stattdessen ist immer jemand im Busch (Songtitel). Wer das einmal begriffen hat, kann es sich auch wieder ganz souverän leisten, denkbar unkomplizierten Drei -Akkord-Rock zu spielen, bei dem es ausschließlich um Erlebnisse an der Theken-, Alltags- und Liebesfront geht. Das Geräusch, das mein Herz macht etwa, oder Auf'm Bus oder runter vom Bus. Das sind schließlich Probleme, die uns alle angehen! Nicht aufgemotzt, verschlagert, ironisiert, sozialkritisch oder mit Punk-Attitude gebracht, sondern aus großen Puristenherzen heraus gespielt, mit unverzerrten Gitarren und einem Sänger, der ohne allzu große Stimmbandakrobarik Deutsch zur dazu passenden Sprache zurechtquengelt.

Thomas Groß

THE MERRICKS: In unserer Stadt (Sub Up Records)

KASTRIERTE PHILOSOPHEN: Leipzig D.C. (Normal)

BABY YOU KNOW: To live is to fly (Sub Up Records)

DIE REGIERUNG: ... so allein (What's So Funny About)