Die Angst der Hools vor der Bombe

Einzige Aufregung beim torlosen Gekicke zwischen England und Holland war eine Bombendrohung gegen Hooligans, während in Neapel verzweifelte Fans aus Rumänen um Asyl flehen  ■  Aus Cagliari Werner Raith

„Die ganze Perversion dieser Gigantomanie“, murrt Ed Callighan, als Reporter aus Kalifornien sonst auch nicht gerade an Kleinzeug gewöhnt, „kannste schon daraus ersehen, daß wir hier bei einem stinklangweiligen Ballgetrete sitzen, zu dem uns nicht mal eine Provinzredaktion schicken würde aber wir müssen da her, bloß weil vielleicht irgendwelche Idioten miteinander zu raufen beginnen werden.“

Recht hat er; auch der taz-Korrespondent ist, wie viele Kollegen hier im Stadion von Cagliari, mit seinen Gedanken nicht bei der Schaudervorstellung der völlig außer Form geratenen Gullit & Co. und der sowieso seit einem Jahrzehnt vernachlässigten Engländer, sondern gut 400 Kilometer östlich, in Neapel.

Dort hatten am Freitag nachmittag, als die Reporter ihre Schreibgeräte einpackten, Hunderte von Stimmen gefleht: „Bleibt doch bei uns, oder kommt jedenfalls gleich nach dem Spiel wieder zurück - wir brauchen euch, ohne den Druck der Weltöffentlichkeit schicken die uns gnadenlos wieder in diese Hölle zurück.“ Rumänische Schlachtenbummler standen vor den Präfekturen, den Polizeistellen, dem Rathaus, mit hastig und holprig zusammengestoppelten Asylanträgen, manche schon dreimal überarbeitet und neugeschrieben (in Italien müssen Anträge auf extra gedrucktem, amtlich gesiegeltem Papier übergeben werden) - die Vorgänge in ihrer Heimat, die plötzliche Explosion der Gewalt, das Wiederauftauchen der Securitate ließen den meisten eine Rückkehr als Gang ins sichere Verderben erscheinen.

Besondere Güter und Werte führen sie allesamt nicht mit sich: die Nachricht von der Terrorwelle hat sie sozusagen kalt erwischt. Ihr Hauptproblem - und daher die Bitte um massive Unterstützung: Seit Ceausescus Sturz gilt Rumänien nicht mehr als Land mit politisch Verfolgten, also schieben die Behörden anderer Länder Asylsuchende meist sofort ab. Zwar hat Italiens Regierung bereits „schwere Besorgnis“ wegen der Vorgänge in Bukarest geäußert, aber zu einer Wiedereinführung des Verfolgungsvorbehalts zugunsten Zufluchtsuchender entschloß man sich nicht.

Hier im Stadion von Cagliari herrscht ebenfalls Angst aber eine ganz andere. Schon am Nachmittag vor dem Spiel, wo es allenfalls zu kleineren Handgreiflichkeiten gekommen war, machen wir ganz ungewöhnliche Beobachtungen: Hatten Fangruppen und Hooligan-Pulks bisher immer etwas von einer Brechstangenphalanx an sich, jederzeit bereit, in jede beliebige Menschen- oder Polizistenmenge hineinzustürmen, so schienen die Bataillone der Aufmischspezialisten diesmal eher zum eigenen Schutz zusammengedrängt.

Holländer marschierten, ordentlich gekämmt und die Fahne fast im Gleichtakt schwenkend, hinter einer Blaskapelle (die dann im Stadion ab und zu, als frivolstes aller Stücke, den Triumphmarsch aus Aida intonierte, freilich fehl am Platze angesichts des 0:0, bei dem es blieb). Auch die Hooligans, mit denen wir dann auf der Tribüne standen, gehorchten der Devise: zusammenbleiben und die Ohren spitzen, ob's nicht irgendwo kracht.

Den Respekt hatte den schlaggewohnten Schlachtenbummlern offenbar - echte oder fingierte - Meldungen über eingelaufene Bombendrohungen verpaßt; Drohungen, die die Polzei offenbar nicht, die Engländer und Holländer aber sehr, sehr ernst nahmen.

Hauptverdächtige, jedenfalls nach Lesart der insularen Fans: weder palästinensische Terroristen noch sardische Nationalisten, sondern IRA-Kombattanten, die im Gefolge der irischen Mannschaft eingesickert sein könnten. Auch daß die Anschläge nicht während des Matches England-Eire passieren sollten, machte für beide Haudegenformationen Sinn: „Da hätten die ja eigene Leute mit hochgesprengt.“

So sitzen und stehen denn die Hooligans überwiegend wie brave Schulkinder herum, singen geordnet ihre Lieder und trollen sich nach dem Unentschieden brav wieder in ihre Hotels. Polizisten wollen mittlerweile gar Verbrüderungsszenen der verschiedenen National -Begleitkommandos beobachtet haben. Jack „the Knife“, Uralt -Hooligan mit - nach seiner Angabe - einem dicken Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde wegen der weltweit höchsten Anzahl eintätowierter obszöner Sprüche, schließt solche „Perversionen“ für seine Leute freilich aus: „Dem würden wir die Haut solange abziehen, bis er sich wirklich für einen Holländer hält.“ Doch ein echter Kriegsgesang kommt auch ihm an diesem Abend nicht mehr über die Lippen.

England: Shilton - Wright - Walker, Butcher, Pearce - Waddle (60. Bull), Robson (66. Platt), Gascoigne, Parker, Barnes Lineker

Niederlande: Van Breukelen - Ronald Koeman - van Aerle, Rijkaard, Van Tiggelen - Wouters, Witschge, Gullit, Gillhaus, Van't Schip (75. Kieft) - Van Basten

Zuschauer: 35.000