Noch nichts Genaues über RAF-Unterstützung der DDR

■ Unionspolitiker fordern schon die Auslieferung Honeckers wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung / Westdeutsche Geheimdienstchefs glauben nicht an RAF-Einsätze aus der DDR heraus / Aber: Was wußte der westdeutsche Verfassungsschutz überhaupt? / Fahndungspanne: Ehepaar Meyer unbescholtene DDR-Bürger

Berlin (taz) - 'Bild‘ verbreitete am Samstag auf ihrer Titelseite in zentimeterdicken Lettern die „unglaubliche“ Erkentnis: „Honecker schickte uns die RAF-Mörder“. Wieder wären drei „jahrelang gesuchte RAF-Terroristen“ in der DRR gefaßt worden. Von 'Bild‘ bis 'Süddeutsche Zeitung‘ reifte der ungeheure Verdacht, den in vorderster Front der deutschlandpolitische Sprecher der Bonner CDU/CSU-Fraktion, Eduard Lintner, in Worte fassen durfte: „Für die Zusammenarbeit des Stasi mit den Terroristen ist das alte Politbüro mit Erich Honecker an der Spitze klar verantwortlich. Ich gehe davon aus, daß die Terroristen durch die SED mit Waffen, Sprengstoff, Informationen versorgt wurden.“ Die DDR war damit nunmehr nicht nur Rückzugsraum für RAF-Pensionäre, sondern taktisches Rückzugsgebiet für führende RAF-Kader, die in der BRD weiter ihre Anschläge verübten. Die Beweisführung stützte sich auf die Festnahme der mutmaßlichen RAF-Mitglieder Barbara und Horst-Ludwid Meyer sowie Sabine Callsen am Freitag in Leipzig.

Mittlerweile stellte sich heraus, daß es sich bei den Festgenommen offenbar um unbescholtene DDR-BürgerInnen gehandelt hat - die DDR-Fahnder waren falschen Hinweisen aus der Bevölkerung aufgesessen und DDR-Innenminister Peter -Michael Dietel (DSU) hatte, als er stolz den weiteren Fahndungserfolg vermelden ließ, den Vergleich der Fingerabdrücke nicht abwarten wollen.

Noch am Freitag Mittag, geißelte die 'Süddeutsche Zeitung‘, hätte eine Sprecherin des Bundeskriminalamtes angeführt, daß es „keinerlei Hinweise“ auf den Aufenthalt von Terroristen der neuen Generation in DDR gebe. Widerlegt sah die Zeitung auch den Hamburger Verfassungsschutz-Chef Christian Lochte, der es für ausgeschlossen hielt, daß aus der DDR heraus terroristisch operiert worden war. Der Beleg war wiederum die Festnahme des Ehepaars Meyer, dem die Bundesanwaltschaft eine Beteilgung an den Mordanschlägen auf den MTU-Chef Ernst Zimmermann (im Februar 1985), den Diplomaten Gerold von Braunmühl (Oktober 1986) und den Siemens-Chef Karl-Heinz Beckurts zur Last legt.

Für den SPD-Sicherheitspolitiker Wilfried Penner war am Freitag sogar klar, daß die DDR ein „Zentrum zur Ausbildung internationaler Terroristen gewesen“ sei. Was dem SPD-Mann gewiß erschien, formulierte der CSU-Vorsitzende Theo Waigel immerhin noch im Konjunktiv. Waigel forderte über die Frage der Verbindungen zwischen RAF und Stasi einen Untersuchungsausschuß einzurichten. Seiner Meinung nach war die DDR „nicht Fluchtweg für die Mörder und Bombenleger, sondern auch ihr Rückzugsgebiet“. Denjenigen, die der RAF ein Leben unter falschem Namen und ohne Strafverfolgung ermöglicht hätten, müsse nun wegen Begünstigung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung der Prozeß gemacht werden. Ein Vorhaben, das ziemlich aussichtslos erscheint, gilt es doch erst nachzuweisen, wieweit das Wirken der Stasi nach DDR-Recht zum damaligen Zeitpunkt überhaupt strafbar war. Darüber hinaus gibt es im Strafrecht der DDR keinen vergleichbaren Paragraphen 129 (Kriminelle Vereinigung).

Eine „direkte Unterstützung“ von aktiven RAF-Mitgliedern in der DDR hat auch der frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Heribert Hellenbroich, ausgeschlossen. Beruf und Wohnsitz sei den RAF-Aussteigern wegen eines „ganz normalen Informationsbedürfnisses des dortigen Nachrichtendienstes“ geboten worden. Ein Interesse, den Terror in der Bundesrepublik zu steuern, hätten auch die Oberen im ersten sozialistischen Arbeiter- und Bauerstaat nicht gehabt: „Die aktiven Terroristen sind nicht in der DDR.“ Hamburgs VS-Chef Lochte vertrat am Wochenende die gleiche Meinung: Eine Zusammenarbeit zwischen RAF und Stasi passe zudem nicht in das politische Denken der RAF. Die Stasi habe lediglich bei RAF-Aussteigern ein Auge zugedrückt.

Strittig ist ferner, wieweit die bundesdeutschen Behörden Kenntnis hatten, daß sich ehemalige RAF-Mitglieder in der DDR aufhielten. Nach der Darstellung des 'Spiegels‘ in seiner neuesten Ausgabe, soll das BKA Ende 1986 den damaliden DDR-Staatsanwalt Günter Wendland darüber informiert haben, daß sich fünf gesuchte RAF-Mitglieder in der DDR aufhielten. Festnahmen seien nicht erfolgt, im Gegenteil: Die fünf, darunter die jetzt Festgenommen Susanne Albrecht und Inge Viett, sollen anschließend aufgefordert worden sein, innerhalb der DDR umzuziehen und ihren Namen zu wechseln.

Offen ist weiter, was der Verfassungsschutz gewußt haben könnte. In einem Papier zum „Aussteigerprogramm“ des Kölner Amtes schrieb Präsident Gerhard Boeden letztes Jahr noch, „nach Erkentnissen des BfV“ habe eine Reihe von RAF -Mitgliedern den Entschluß gefaßt, „sich aus dem bewaffneten Kampf zurückzuziehen“. Das Aussteigerprogramm seiner Behörde „hat - und das ist das eigentlich wichtige - die Adressaten erreicht“.

Wolfgang Gast