15.000 fordern „bloß kein einig Memmingen“

In Bonn demonstrierten Frauen und Männer aus beiden Teilen Deutschlands für die Abschaffung des Paragraphen 218 / Samba, Sonne, Sonnenschein und beste Stimmung / Kein Import der Indikationenregelung in die DDR / DDR-Frauen waren in Ost-Berlin auf der Straße  ■  Aus Bonn Helga Lukoschat

Als der Sonderzug aus Berlin in letzter Minute abgesagt werden mußte, da spukten die schlimmsten Befürchtungen durch die Frauenszene: Wenn schon aus Berlin nur ein Bus mit 40 Leuten kommt, wie soll es dann in Bonn aussehen? Es sah gut aus in Bonn: Samba, Sommer, Sonnenschein, 15.000 Fauen (und ein paar tausend Männer) in bester Laune. „Weg mit dem 218 Frauen entscheiden selbst“, in der Bundeshauptstadt ging am Samstag die seit Jahren größte Demonstration für die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen über die Bühne. Politisches Nahziel der Frauen: keine Übernahme der bundesdeutschen Indikationenregelung in der DDR. Oder: „Bloß kein einig Memmingen“.

„Glücklich, einfach nur glücklich“ über den Erfolg war Organisationsfrau Rita Werkmeisterin vom Bündnis „Frauen begehren Selbstbestimmung“. Bei einigen Frauen gab es aber auch Skepsis: Waren es wirklich genug Frauen für eine Demonstration, für die seit über einem Jahr mobiliert wurde? Die grüne Europa-Abgeordnete und Moderatorin Claudia Roth dagegen verbreitete nur Optimismus. Sie war ganz aus dem Häuschen über den „wunderschönen Nachmittag“ und die „wunderschönen Frauen“. Ach ja, „wir sind Frauen, wir sind viele“ - es wärmte das Herz und die Seele, die Rednerinnen sagten alles, was gegen den 218 zu sagen ist, Anne Haigis machte zum Abschluß soften Jazz-Rock, Tausende von lila Luftballons wogten in der Nachmittagssonne. Die einzige Aufregung gab es, als zu Beginn der Kundgebung die Glocken der Münsterbasilika zu läuten begannen, und selbst die Frauensambagruppe nicht gegen den klerikalen Lärm antrommeln konnte. Ein paar Frauen wollten in die Kirche rein, die Polizei schützte die Portale, Farbeier flogen.

Auch mit den LebenschützerInnen, die rund 500 Meter entfernt ihre Gegenkundgebung abhielten, kam es nur zu einem kleinen „Zwischenfall“, wie es im Polizeideutsch hieß, als eine Gruppe von autonomen Männern und Frauen einen Störversuch startete. Zwischen 2.000 und 3.000 TeilnehmerInnen hatte die Gruppe „Aktion Lebensrecht für Alle“ zusammengebracht, die im Stadtgarten ihre Kirchenlieder sangen.

Ganz andere Parolen waren auf der Frauendemo zu hören: „Aufruhr, Widerstand - das Patriarchat wird abgebrannt“, hatte der Block der autonomen Frauen vormittags skandiert. Nachmittags auf dem Münsterplatz wurde die Aufgabe genußvoll in Angriff genommen und mit der Freundin auf das zärtlichste geschmust. Knutschende Pärchen gab es überhaupt eine ganze Menge und nicht nur weiblich-weiblich wie üblich bei solchen Anlässen, sondern auch weiblich-männlich, denn Männer meistens in Gestalt des engangierten Freundes mit dem Softi -Blick - durften ja mitmachen. Aber es gab auch die fünf Jungs aus einer Kölner Männergruppe, die tapfer ihr Transparent hochhielten: „Frauen treiben ab, weil Männer nicht verhüten.“ Die Grußadresse des Göttinger Männertreffens erhielt heftigen Applaus, die Frauenbewegung zeigte sich großzügig.

„Einige von uns waren schon vor zwanzig Jahren dabei.“ An die Kontinuität der Kämpfe vor einem überwiegend 15 bis 20 Jahre jüngeren Publikum erinnerte Monika Simmel-Joachim, die Bundesvorsitzende von Pro Familia. Die Fristenregelung, die die sozialliberale Koalition nicht zuletzt auf den Druck der Frauenbewegung 1974 verabschiedet hatte, wurde 1975 vom Bundesverfassungsgericht kassiert.

Seitdem gilt das Urteil der Karlsruher Richter konservativen und klerikalen Kreisen als das letzte Wort. So auch in der aktuellen Diskussion: CSU und Teile der CDU beharren darauf, daß das Karlsruher Urteil selbst eine Übergangszeit, in der die Fristenregelung der DDR bestehen bleiben könnte, unmöglich mache. Nach Ansicht von Simmel -Joachim ein vorgeschobenes Argument: „Jedes Urteil ist eine Auslegung von Verfassungsgrundsätzen, und auch dieses Urteil ist revidierbar.“ 15 Jahre Erfahrung mit dem reformierten 218 hätten gezeigt, daß das erklärte Ziel, der „Schutz des Lebens“ nicht erreicht sei. Die Abtreibungszahlen sind in der Bundesrepbulik nicht niedriger als in Ländern mit einer liberalen Regelung.

Die DDR-Fristenregelung wurde aber keineswegs als der Weisheit letzter Schluß angesehen: als „beschämend“ bezeichnete Simmel-Joachim die dortigen Bedingungen, die zum Beispiel keinen ambulanten Abbruch zulassen. Grundsätzlich aber ging es den Rednerinnen und dem einzigen Redner der Kundgebung, dem in Memmingen verurteilten Frauenartz Horst Theissen, um das Recht von Frauen auf eine selbstbestimmte Entscheidung. „Unser Ziel ist mehr als die Übernahme der heutigen DDR-Realität in die BRD, wir wollen ein Ende jeglicher staatlicher Reglementierung“, forderte Verena Krieger von den Grünen. Monika Ganseforth von den Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) plädierte für das „Recht auf selbstbestimmte Mutterschaft und gegen jede Strafandrohung für Frauen in Schwangerschaftskonflikten“. Allerdings ließ die SPD -Politikerin unerwähnt, daß die AsF eine Frist von 22 Wochen setzen, der Mainstream der SPD sogar die dreimonatige Fristenregelung favorisiert und umschiffte damit wohlweislich die Konfliktpunkte zwischen SPD und autonomen und grünen Frauen.

„Es hilft nur noch der Druck von der Straße“, befand Christina Schenk vom Unabhängigen Frauenverband, die als Sprecherin für die Frauen der DDR eingeladen worden war. Wieviel Frauen aus der DDR gekommen waren, wußten selbst die Veranstalterinnen nicht zu sagen, von Problemen bei Absprache und Koordination war die Rede. Ausschlaggebend für die eher magere Teilnahme dürften vor allem die Kundgebungen und Aktionen in der DDR selbst gewesen sein, zu denen der UFV aufgerufen hatte. „Der Kampf gegen den 218 wird zum ersten gemeinsamen Kampf der deutsch-deutschen Frauenbewegung!“, verkündete kategorisch Christina Schenk. Wollen wir's hoffen. Ein paar tausend Frauen mehr aus Ost und West dürften es dafür aber gerne noch werden.