piwik no script img

Ein langer, dürrer Sommer dieses Jahr

Die letzten Sommerferien der DDR stehen im Schatten der Währungsunion / Betriebe sparen bei den Kinderferienlagern Ferienspiele an den Schulen bleiben / Austausch von Ferienkindern zwischen DDR und BRD im „Sommer der Begegnungen“  ■  Aus Berlin Claudia Haas

In drei Wochen beginnen für die zwei Millionen Schulkinder der DDR die Sommerferien. Alles wird anders in diesem Sommer. Die Pioniertracht bleibt im Schrank hängen, im Ferienlager wartet keine Fahne mehr zum morgendlichen Appell, zum letzten Mal sind die Ferien acht Wochen lang, zum ersten Mal muß das Eis in D-Mark bezahlt werden.

Urlaub in Italien, Spanien oder Frankreich? Die Ferienpläne der Drittklässler der 18. Berliner Oberschule in der Krausenstraße sind bescheidener. Jana fährt zur Uroma nach „drüben“. Stefan erholt sich im Ferienlager an der Ostsee, Vicky macht gleich zweimal Urlaub: Der Betrieb der Mutter hat ein Ferienhaus im Spreewald, mit den Kindern vom Betrieb des Vaters fährt sie zum Arendsee. Doch für viele Kinder fällt in diesem Jahr sogar der Urlaub im eigenen Land flach. Vor allem kleine Betriebe, die kein eigenes Ferienheim haben, können sich das Ferienlager nicht mehr leisten. Ein Ferienplatz kostete den Betrieb bisher 300 bis 400 Mark, die Eltern bezahlten 12 Mark. Einige Berliner Betriebe, wie der Verband der Bekleidungsindustrie oder der VEB Ausbau und Modernisierung führen noch ein letztes Mal die Kinderferienlager zum alten Preis durch. Andere haben den Elternbeitrag erhöht, im Kombinat Dienstleistungen kostet ein Ferienplatz 100, bei der Schuhfabrik Goldpunkt 125 Mark. Der bisherige Verpflegungssatz von 4,50 Mark pro Tag reicht nach dem Wegfall der Subventionen nicht mehr aus.

Katrin Prengel ist Lehrerin im Stadtbezirk Lichtenberg, das Ferienlager wird über die Abteilung Volksbildung organisiert. Als die Eltern erfuhren, daß in D-Mark abgerechnet wird, haben viele ihre Kinder wieder abgemeldet.

Die FDJ als Feriengestalter fällt in diesem Jahr weg. Die frühere Pionierrepublik „Wilhelm Pieck“ am Werbellinsee im Kreis Eberswalde, die größte Kindereinrichtung der Republik, ist jetzt dem Ministerium für Jugend und Sport unterstellt. Wo bisher ausgewählte Junge Pioniere zu Gruppenführern geschult wurden, soll jetzt ein Kinderland für alle Kinder entstehen. Kinder aus ökologisch belasteten Gebieten sollen sich künftig in dem Landschaftsschutzgebiet erholen, für Juli und August ist ein internationales Sommercamp geplant. Mit zehn Millionen Mark im Jahr müßte die „Stadt der Kinder“ subventioniert werden, um die günstigen Preise von einer Mark pro Tag zu erhalten und nicht auf die „Hilfsangebote“ von Spekulanten angewiesen zu sein.

Auch im ehemaligen Berliner Pionierpark Wuhlheide, dem jetzigen Freizeit- und Erholungszentrum „FEZ“ stapeln sich die Angebote der Touristikunternehmer. Das Renommierobjekt der ehemaligen Bildungsministerin Margot Honecker, mit der Pioniereisenbahn und dem „Palazzo Prozzo“ in klein, wird in diesem Jahr noch 50 bis 60 Veranstaltungen für Ferienkinder anbieten, die meisten davon kostenlos.

Ein neues Ferienangebot kommt in diesem Sommer dazu: die Völkerverständigung auf deutsch-deutscher Ebene. Kinder und Jugendliche der DDR können ihre Ferien in bundesdeutschen Familien verbringen, im nächsten Sommer kommen die bundesdeutschen Kinder zum Gegenbesuch in die dann nicht mehr vorhandene DDR. Der „Sommer der Begegnungen“ wird von den Ministerien in Bonn und Berlin organisiert, Unterkunft und Verpflegung sind umsonst, die Fahrt muß aus eigener Tasche bezahlt werden. Das Ministerium für Jugend und Sport nimmt noch Anmeldungen von DDR-Familien entgegen, etwa 10.000 Kinder können vermittelt werden.

Für alle, die nicht wegfahren können, bleibt zumindest eins: die Ferienspiele in den Schulen. Für viele Hortkinder der 1. bis 4. Klasse beginnt auch der Ferientag um 6 Uhr morgens. Das Bildungsministerium versicherte, daß die Ferienspiele durchgeführt werden wie bisher, allerdings „mit dem Fragezeichen Währungsunion“. An einigen Schulen zahlen die Eltern wie in den Vorjahren für zehn Tage Ferienspiele eine Mark - Essen, Schulmilch, Ausflugsfahrten und Eintrittskarten inklusive. Während das Geld früher oft verschwendet wurde, wie Inge Gluschke, stellvertretende Direktorin an der 18. Oberschule selbstkritisch eingesteht, muß in diesem Sommer jeder Kupferpfennig umgedreht werden. Eine Schiffahrt mit der Weißen Flotte, der Besuch im Tierpark oder ein Ausflug mit dem Bus sind nicht mehr selbstverständlich.

Den Westteil der Stadt werden die Kinder aus Marzahn oder Köpenick in den Ferienspielen nur mit langen Fußmärschen und Butterbroten erobern können. Im Ferienetat der Schulen sind keine BVG-Tarife einkalkuliert, geschweige denn ein Eis vom Italiener. Ein lange, dürrer Sommer wartet auf die Schulkinder der DDR.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen