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Stasi mit 'Spiegel‘ Wand an Wand

■ Beim 'Spiegel‘ wohnte die Stasi „KW“ nebenan / taz-Mitarbeiter verteilen Dokumentation mit 9.251 Adressen auf dem Alex / Reaktionen von Befürwortern und Ablehnern dieser Form der Vergangenheitsbewältigung

Berlin (taz/ap) - In der Leipziger Straße 61 in Ost-Berlin wohnte die Spiegel-Redakteurin Gisela Krüger in der Wohnung „05“ im vierten Stock. In der von der taz veröffentlichten Adressenliste ehemaliger Stasi-Objekte steht die Wohnung „06“ in der vierten Etage als „KW Z II“, also „Konspirative Wohnung“ der Hauptabteilung II der Staatssicherheit offensichtlich sind Journalisten von der Staatssicherheit auch in ihrem Privatleben überwacht worden. „Davon sind wir alle ausgegangen“, sagt Gisela Krüger. Daß ausgerechnet die Nachbarwohnung komplett der Stasi gehörte, wußte die Kollegin allerdings nicht. „Das muß die Wohnung nach hinten raus gewesen sein...“, erinnert sie sich. Im Februar 1989 war sie ausgezogen, von Januar bis Mai hatte ein taz -Korresspondent die Wohnung in der Leipziger Straße 61 04.05 als Büro angemietet...

K.W.

Der 20seitige taz-Sonderdruck „Heimatkunde“ dokumentiert über 9.000 ehemalige Stasi-Adressen von Adorf bis Zwickau mit Angabe der Nutzungsart, des Stockwerks und der genauen Wohnungsnummer. In den Redaktionsräumen der taz oder per Post (Oberwasserstr. 12, Berlin, 1080/DDR; Kochstr. 18, 1 Berlin 61/West) ist dieses Dokument zu beziehen.

Über die Veröffentlichung der bisher umfänglichsten Dokumentation zur Sasi in der taz sowie über weiterreichende Kompetenzfragen bei grundsätzlichen Entscheidungen hat sich in der Redaktion der tageszeitung ein ernster Disput entspannt, der nach Redaktionsschluß fortgesetzt wurde.

Am Montagmorgen haben Mitarbeiter der taz Tausende von Exemplaren des Sonderdrucks auf dem Berliner Alexanderplatz verteilt. DDR-Bürger, die in langen Schlangen vor den Banken warteten, rissen den taz-Redakteuren die Exemplare geradezu aus den Händen und schlugen sofort die Seite mit den Adressen in ihrem Wohnviertel auf, um nach Stasi-Objekten in der Nachbarschaft zu suchen.

Eine 28 Jahre alte Finanzökonomin nannte die Veröffentlichung der Adressen, gegen die zuvor das DDR -Innenministerium protestiert hatte, ein „Dokument dieser Zeit“ und eine „Form der Vergangenheitsbewältigung“. Sie wandte sich dagegen, hier etwas unter den Tisch zu kehren. Andere Berliner sprachen sich gegen die Verteilung aus. Sie schüre nur weiter den Haß auf Stasi-Spitzel.

Die taz-Mitarbeiter hatten sich nach heftigen redaktionsinternen Auseinandersetzungen spontan dazu entschlossen, die Listen zu verteilen. Sie wollten damit auch die Hemmschwelle beseitigen, die viele DDR-Bürger hätten, wenn sie die Listen eigens bestellen müß ten. Die taz hatte in ihrer Montag ausgabe angekündigt, sie verschik ke die Adressenlisten auf Bestel lung.

Viele DDR-Bürger, die in den Drucken blätterten, zeigten sich erstaunt, wie viele Wohnungen von der Stasi benutzt wurden. „Die ganze Protokollstrecke entlang war ja voll“, wunderte sich eine 21 Jahre alte Studentin, die sofort eine Stasi-Adresse in ihrer Straße entdeckte. Der Versicherungsagent Roland Weißel dagegen befürchtet nun, daß Bürger ihren Unmut gegen die Stasi-Objekte ausdrücken und es zu weiteren Demonstrationen kommt.

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