Eine Botschaft wurde „befreit“

■ Ein diplomatischer Empfang ganz besonderer Art: Aus Anlaß des 17. Juni feierten PolInnen und deren FreundInnen „Botschaftsempfang“ auf dem Gelände ihrer ehemaligen Botschaft an der Kurfürstenstraße / Gebäude und Grundstück seit 1939 „unter deutscher Verwaltung“

Tiergarten. Natürlich, es muß ja so kommen. Noch bevor das Fest richtig beginnt, die Musiker üben noch ihre Parts, erscheint die Polizei. Ruhe wolle sie wiederherstellen, die Anwohner hätten sich beklagt. Und überhaupt, was findet hier eigentlich statt und mit wessen Erlaubnis.

Der Stein des Anstoßes ist ein Fest zum 17. Juni. Nicht zum Tag der deutschen Einheit, nein, zum „Tag der deutschen Vielfalt“. Gefeiert wird es auf dem grasbewachsenen Platz, auf dem bis zum 1. September 1939 die Polnische Botschaft in Berlin stand, an der Kurfürstenstraße/ Ecke Mackensenstraße. Am Tag des Überfalls auf Polen wurde die Botschaft von nationalsozialistischem Militär besetzt, das Gelände „unter deutsche Verwaltung“ gestellt. Und das ist es auch noch heute.

Zwar gab es Berliner Versprechungen, das brachliegende Gebiet der polnischen Regierung wieder zurückzugeben, bloß weiß davon die polnische Regierung noch nichts, erklärt der Sprecher des polnischen Sozialrats Withold Kaminski. Mit dem „multikulturellen“ Fest und einer Diskussion über „Die deutsche Einheit, ein Grund zur Freude für Polen“ befreien die Feiernden, der „Initiativkreis Polen bei der Aktion Sühnezeichen“ und ihre Freunde, das Gelände von der „deutschen Verwaltung“.

„Achtung, der amerikanische Sektor verläßt sie jetzt“, verkünden Transparente, und erst ein „befristetes Visum für nicht eingeladene Nicht-Polen“ erlaubt den Schritt auf das „exterritoriale“ Gebiet. Statt Mißtrauen, Aggressionen, Beschimpfungen - Alltagserfahrungen der Polen in Berlin erwartet die Nicht-Polen weiß-rote Gummibärchen auf dem „Botschaftsempfang“. Um festliche Kleidung war gebeten worden, die Nationalfarben zieren die Krawatten aus Flatterleinen in Plastik.

„Das kommissarische Botschafterkomitee der Republik Polen“ gibt bekannt: „Der 17. Juni, der Tag der deutschen Einheit, dem wir gemeinsam mit dem deutschen Volk entgegengezittert haben, vor dem wir nun gemeinsam mit den anderen Völkern weiter zittern werden, der uns so ein Gefühl vermittelt, aufgehoben zu sein in der Gemeinschaft der Völker, der Tag, den man als Freudentag bezeichnen muß, ist nun Anlaß für uns, innezuhalten und Einkehr und Selbstbesinnung zu üben.“ Die Diskussionsrunde bestätigt es: die Freude über die Maueröffnung war unter den Ausländern in Berlin groß, aber sie wurde verdorben durch die Erfahrung, daß alle Hemmschwellen gegen Nichtdeutsche ebenfalls brachen. Wie wird es weiter gehen, fragt Withold Kaminski, wenn „Europa ein europäisches Haus“ wird, der „ganze Osten aber zum Hinterhof“.

Wird die zukünftige EG-Politik zu einer „Lateinamerikanisierung“ führen, zu einer Wohlstandsschwelle an der Oder-Neiße-Grenze? Einlaß nur mit Einladung und Visum? Da will man doch ein Gegengewicht setzen, die Gastfreundschaft der Osteuropäer ist groß, Bigosz und Fasolka scharf, der Jazzrock der „Priest and Big Cork Band“ heiß. Ein sanfter Sonnabend.

aku