Versuchte Nähe

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(Verdrängt, verfälscht, doch nicht vergessen, So.,17.6.DFF 1, 20 Uhr) Wann immer es um Dokumentarfilme geht, die mit Geschichte zu tun haben, stellt sich für den interessierten Zuschauer die Frage: Kann und darf ich den Bildern und Texten trauen? Er möchte dürfen können. Wahr ist: nur selten darf und kann er. Was im West-TV gilt (wg. schlampiger Recherche, unzuständiger Redakteure, usw.), hat im DDR -Fernsehen andere Gründe. SED-Staat und -Schulung schufen ihre Kinder und entließen sie immer noch nicht. Jedenfalls nicht aus der geistigen und methodischen Penetration. Beispiel: Eine Dokumentation zum 17. Juni am 17. Juni.

An den Anfang werden zwei eher mehr als weniger verlogene Zitate gestellt: eines aus der SED-Propaganda-Maschine und eines aus dem Wörterbuch des westlichen kalten Kriegers. Man müsse aber, verkündet eine sachlich-sonore Stimme, den Ausgangspunkt des Ereignisses wohl einige Monate früher ansetzen, bei „dieser Konferenz“. Folgen die Bilder einer Konferenz mit einem im Stehen redenden Herrn mit grauem Spitzbart, leise Stimme - darübergelegt die sachlich-sonore des Sprechers. Die Gaumendruckstimme! Erinnern Sie sich? Jawohl, Walter Ulbricht. Er redet also vor ... genau: der „2. Parteikonferenz“, so erfährt sehr viel später der aufmerksame Zuhörer („der SED“ muß Wessi sich denken, Ossi weiß das natürlich). Und bitteschön: Erstmals werden zugängliche Panzerschrankdokumente gezeigt und verlesen. Stalins bei Lenin geliehener O-Ton „ich trumpfe auf“ wird so oft - von ihm selbst, von der Frau und vom Sprecher wiederholt, bis endlich der unauslöschliche Eindruck sich herstellt: Stalin war's! An jenen innerhalb der SED wurde behutsam vorbeigeschlendert. Andere, wie die zwischen SED und FDGB, verblieben im Off der Geschichte. Je ein Wissenschaftler Ost und West kommentierten - ausgewogen, wohlgeschnitten - Ereignisse, vermeintliche Ursachen und vermutete Hintergründe. Mag ja sein: Wo die Wissenschaftlichkeit einer Ideologie so lange im Mittelpunkt stand, erscheint die quasi-wissenschaftliche Dokumentation der neuesten Geschichte glattweg als neue Objektivität. Die Erinnerungen von Beteiligten, von Zeitzeugen (noch leben sie!) hätte die Dokumentaristen wohl nur gestört. Drum gilt: Filme wie dieser sind und bleiben versuchte Nähe.

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