„Hochschulabsolventin, planen Sie Ihre Karriere“

Mühsamer Berufseinstieg für Sozialwissenschaftlerinnen / Zehn Jahre Erwerbslosigkeit, Dequalifikation und Sozialamt - und dann Karriere? Nach ausbildungsfremden Hilfsjobs fehlt bei Bewerbungen die geforderte Berufserfahrung / Deprimierende Erfahrungen aus Berlin  ■  Von Susanne Eggers

Die Ratlosigkeit der ExpertInnen zur Erwerbslosigkeit von Sozialwissenschaftlerinnen reicht vom geflügelten Statement, „Sie haben doch gute Examina, gehen Sie doch in die Wirtschaft“, bis hin zur Vorbereitung auf katastrophale Zukunftsaussichten. Die „instabile Lebensphase“ bei der Erschließung des eigenen Berufsfeldes dauere bis zu zehn Jahre, so die Erfahrung von Beate Krais vom Max-Planck -Institut für Bildungsforschung. Hierin solle eine Chance gesehen werden, eine fachliche Identität aufzubauen (vgl. auch taz vom 10.11.1988).

Wie aber sehen die Chancen aus? Nehmen wir Ina, 30 Jahre alt (Name von der Red. geändert). Als Soziologin arbeitete sie zwei Jahre nach dem Studium als Altenpflegerin. Danach wurde ihr eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) bewilligt. Nach Ablauf der zweijährigen Beschäftigungsdauer ist sie erwerbslos. Bei Bewerbungen auf Planstellen scheitert sie an dem häufig genannten Einstellungskriterium „dreijährige Berufserfahrung“ und hofft auf eine weitere ABM-Stelle. Berufsfremde Beschäftigung und ABM als Modell einer kontinuierlichen fachlichen Qualifikation?

Die Vertreterinnen von KOBRA/Berlin (Weiterbildungs-, Koordinierungs- und Beratungszentrum für Frauen) berichten, daß hochqualifizierte weibliche Arbeitskräfte, wie zum Beispiel eine Sinologin mit zweijähriger Berufserfahrung in China, mangels adäquater Beschäftigungsmöglichkeiten vom Arbeitsamt zur Stenokontoristin umgeschult werden. Wohl kaum eine Chance in der Krise, sondern Dequalifikation in einem typischen „Frauenberuf“.

„Karriere: Planen Sie ihren Aufstieg!“ So titelte kürzlich ein Mode- und Frauenmagazin. Planung ist Trend: „Frauen sollten ihren Einstieg in Beruf und Gesellschaft bewußt planen“, lautete auch die Devise der ehemaligen FU -Vizepräsidentin Barbara Riedmüller auf der Veranstaltung Informationstage der FU Berlin zur Studien- und Berufsplanung für Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen (taz vom 10.11. 1988).

Wie aber passen Berufsplanung und Arbeitsmarkt zusammen? Margarete, 27 Jahre, Politologin, Uni-Absolventin mit Prädikatsdiplom, arbeitete während des Studiums in fachnahen Tätigkeitsfeldern. Seit zwei Jahren wurschtelt sie sich mit ungesicherten Werkaufträgen durch. Ihre Berufsplanung hat ihr nichts genützt, „weil ich als Politologin nach dem Bundesangestellen-Tarif (BAT) mit BAT IIa bezahlt werden müßte, während Sozialpädagoginnen nur mit BAT IV eingruppiert werden. Das ist ein Grund, weshalb ich selbst in diesem Arbeitsmarktsegment weniger gern eingestellt werde.“

Das Argument, Frauen planten ihre Karriere nicht genügend, übersieht allzuleicht den Umstand, daß der Arbeitsmarkt für das Gros der Sozialwissenschaftlerinnen weder gesicherte, noch qualifizierte Erwerbsmöglichkeiten vorsieht. Ein Beispiel: Nicht einmal in einem mit mehr als acht Millionen D-Mark geförderten Forschungsprojekt (Berliner Alternsstudie“) der Akademie der Wissenschaften zu Berlin erhalten weibliche Nachwuchswissenschaftlerinnen eine Qualifizierungschance. Zwölf Sozialwissenschaftlerinnen dürfen die Lauf-, Ankreuz- und Ausfüllarbeiten, die bei den Interviews zur Datenerhebung anfallen, ausführen. Die sozialwissenschaftlichen Qualifikationen gehören zwar zur Einstellungsvoraussetzung , werden aber nur zum reibungslosen Ablauf der Studie und zur altenpflegerischen Betreuung eingesetzt. Vergütet wird die unregelmäßige Arbeitszeit, Samstagsarbeit und 39-Stundenwoche mit Vergütungsgruppe Vc BAT.

Christine, 27 Jahre, Politologin: Seit einem Jahr erwerbslos, lebt sie von der Sozialhilfe, denn andere Leistungsansprüche hat sie nicht. Der Sachbearbeiter rät: „Sie müssen sich jetzt auf alles bewerben, von Putzfrau bis Sekretärin.“ Als qualifizierte Akademikerin erbringt sie nun den minimalsten Fähigkeitsnachweis überhaupt: Das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) §19 Abs.1 und 2 sieht die „Schaffung von Arbeitsgelegenheiten für Sozialhilfeempfängerinnen“ vor. Das Gesetz war ursprünglich für gering qualifizierte Sozialhilfeempfängerinnen vorgesehen. Zählen dazu nun auch Hochschulabsolventinnen?

Auf der Tagung der Evangelischen Akademie in Loccum im Februar dieses Jahres zum Thema Stellenlos aber nicht arbeitslos hieß es, daß eine Viertelmillion Hochschulabsolventinnen am Rande des Existenzminimums lebt.

Seit Mitte der siebziger Jahre haben vor allem die Beschäftigungschancen weiblicher Sozialwissenschaftler gravierend abgenommen. Der Männeranteil unter den Erwerbslosen ist von 1973 bis 1985 fast kontinuierlich um das Zehnfache angestiegen, der Frauenanteil jedoch um das 25fache.

Ebenso drastisch ist die Situation für weibliche Sozialwissenschaftler gegenwärtig auf dem Berliner Teilarbeitsmarkt. Unter den Berufsanfängerinnen liegt die Erwerbslosenquote allein in den Fächergruppen Politologie und Soziologie um 15,3 Prozent höher als bei den Männern. Mehr als 70 Prozent der arbeitslosen Soziologinnen und Politologinnen sind in der Altersgruppe zwischen 30 und 44 angesiedelt.

Parcours zwischen Dequalifikation und Qualifizierung

Eine Verbleibstudie über Absolventinnen am Fachbereich Politische Wissenschaften der FU für die Jahrgänge 1979 bis 1986 kommt zu dem Ergebnis, daß Frauen im Vergleich zu Männern ein höheres „Aktivitätspotential“ in fachnahen Tätigkeitsfeldern an den Tag legen. Diese Tatsache nützt ihnen bei der Einfädelung in den Arbeitsmarkt offenbar wenig.

Viele erwerbslose Sozialwissenschaftlerinnen gehen auf dem Parcours zwischen Dequalifikation und Qualifizierung auch den Weg der Forschungs- und Promotionsförderung. Aber auch dieser Grat ist schmal, denn die Förderungskontingente sind gering.

In der Berlin-Forschung wurden in der 10. und 11. Ausschreibung insgesamt 13 Anträge von weiblichen Sozialwissenschaftlern bewilligt. Dies entspricht einer Förderquote von 22,2 Prozent beziehungsweise 27,8 Prozent in der 11. Ausschreibung. In der Nachwuchsförderung (NaFöG § 7) wurden im Ausschreibungszeitraum von 1985 bis 1989 insgesamt 1.528 Anträge gestellt und gut 40 Prozent bewilligt. Im Zeitraum von fünf Jahren wurden 51 Sozialwissenschaftlerinnen gefördert, 3.347 hatten Anträge auf Förderung gestellt. Im Förderprogramm Frauenforschung des Senats von Berlin steht laut Jahresbericht 1988/89 „einem Fördervolumen von 1,35 Millionen DM mehr als das Zehnfache als Antragsvolumen gegenüber.“

Das von Hendrik Auhagen an der Evangelischen Akademie in Loccum präferierte Modell des teilzeitarbeitunterstützenden Grundeinkommens für erwerbslose Hochschulabsolventen sollte auch im Hinblick auf die noch krassere Erwerbslosenproblematik der Absolventinnen diskutiert werden. Die einzige Lösung kann dies jedoch nicht bleiben. Es müssen auch weitergreifende Förderungsprogramme in puncto Forschungsförderung erstellt werden.

Auch die Freie Universität hat bisher wenig Initiative ergriffen, förderliche Maßnahmen für Berufsanfängerinnen zu entwickeln. Mit dem von der FU geplanten DDR-Programm, das mit 3,5 Millionen D-Mark aus Sondermitteln finanziert wird, droht die Rechnung ohne die Berufsanfängerinnen gemacht zu werden. Geplant sind zwar auch 600.000 D-Mark für Frauenprojekte und empirische Sozialforschung, es profitieren jedoch lediglich die schon in der Wissenschaft etablierten Lehrkräfte und nicht die Berufsanfängerinnen.