Mit Bauchschmerzen in die rot-grüne Koalition

Nur eine knappe Mehrheit der niedersächsischen Grünen segnete am Wochenende das dürftige Verhandlungsergebnis ab und gab grünes Licht für die rot-grüne Koalition in Hannover / Auch Waltraud Schoppe trotz Kritik als neue Frauenministerin bestätigt  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Eine fünfstündige Aussprache unter Grünen: Gut 50 RednerInnen kommen zu Wort. Die Akustik in den Wülfeler Brauereigaststätten, in dem der Landesparteitag der niedersächsischen Grünen das rot-grüne Verhandlungsergebnis debattiert, ist miserabel. Die Positionen sind schon vorher abgesteckt: Die Annahme der Koalitionsvereinbarung inklusive aller Personalvorschläge will die Verhandlungskommission, Nachverhandlungen mit der SPD verlangt der Ökologie-pur -Flügel. Eine andere Frauenministerin als Waltraud Schoppe wollen die Feministinnen aus LAG-Frauen. Spätestens nach der ersten der fünf Stunden wiederholen sich die Argumente.

Doch dann kurz vor fünf löst sich die grüne Mischung aus Gereiztheit und Langamtmigkeit in Jubel und langen Beifall auf: Der Antrag Nummer 11, der Leitantrag der Verhandlungskommission, ist mit 77 zu 54 Stimmen bei acht Enthaltungen beschlossen. Blumensträuße für die künftige niedersächsische Frauenministerin Waltraud Schoppe, für den künftigen Bundesratsminister Jürgen Trittin und für die drei designierten grünen Staatssekretäre besiegeln die Abstimmung.

Der beschlossen Antrag Nummer 11 besteht nur aus zwei Sätzen: „Die Landesversammlung billigt das in der Koalitionsvereinabrung ausgehandelte Programm für eine rot -grüne Regierung in Niedersachsen und bestätigt die vorgeschlagenen MinisterInnen und StaatssekretärInnen. Die Landtagsfraktion wird aufgefordert, bei der konstituierenden Sitzung des Landtages Gerhard Schröder zum Ministerpräsidenten zu wählen und das Kabinett zu bestätigen.“ Die Mehrheit, die dieser Antrag am Sonntag gefunden hat, ist nicht gerade üppig. Selbst die Redner, die sich für den Vorschlag der Verhandlungskommission stark machten, führten ständig das Wort „Bauchschmerzen“ im Munde.

In den fünf Stunden gab es aber auch aggressive persönliche Atacken, vor allem gegen Waltraud Schoppe. Doch keine einzige Delegierte trat dabei ernsthaft gegen die rot-grüne Koalition auf. „Zu dem Versuch einer ökologischen und sozialen Reformpolitik in Niedersachsen könnt Ihr Ja oder Nein sagen. Ein sowohl als auch gibt es nicht“, hatte schon zu Beginn des Parteitages Jürgen Trittin klar die Position der Verhandlungskommission benannt. In der Sache, so der Tenor seiner Rede, könne sich die Koalitionsvereinbarung sehen lassen. Sie gehe weit über sozialdemokratische Pogrammatik hinaus. Die ausgehandelte Ressortverteilung nannte jedoch auch Trttin „ein nur notdürftig kaschiertes Personaldiktat der SPD“ und lehnte dennoch Nachverhandlungen entschieden ab: Die Koalitionsverhandlungen hätten schon hart an der Kante des Abbruchs gestanden.

Auch wenn Jürgen Trittin sogleich Unterstützung beim Grünen Landesvorstand und der Landtagsfraktion fand, das Recht auf Kritik wollte sich die Basis so einfach nicht nehmen lassen: Schon die erste Rednerin, Ella Wolff vom Kreisverband Braunschweig empfahl, Christa Karras anstelle von Waltraud Schoppe als Frauenministerin: Waltraud Schoppe habe sich nicht in die Frauenpolitik eingemischt, mit der Landesarbeitsgeminschaft Frauen keine Gespräche geführt, sie sei ganz einfach unakzeptabel.

Wenig später vermißte der Kreisverband Lüneburg ein von einem Grünen Minister geführtes „ökologisches Ministerium“ und immer wieder wurde dann verlangt, das Paket der Verhandlungskommission aus Sachprogramm und Personalvorschlägen aufzuschnüren. Es sei erschütternd, wie schon jetzt die Verhandlungskommission die Basis mit der Pistole auf der Brust zur Loyalität verpflichte, meldete sich dann wiederum der Kreisverband Braunschweig zu Wort. An die Spitze der Nachverhandler setzte sich schließlich die gerade gewählte Bundesvorstandssprecherin Renate Damus. Zu früh habe die Verhandlungskommission die Forderung nach dem Umweltministerium aufgegeben, lautete ihr Vorwurf. Als Verhandlungsergebnis sei nun „eine indirekte Tolerierungspolitik herausgekommen“.

Kaum hatte schließlich die Fraktionsvorsitzende Thea Dückert das Personalpaket der Verhandlungskommission mit den Worten verteidigt: „Wir wollten damit die öffentliche Demotage einzelner Personen hier auf dem Parteitag vermeiden“, da sollte Waltraud Schoppe zu wenig von ihren Diäten abgeführt haben. Ihre Außenstände in Höhe von 60.000 DM habe sie prompt nach der niedersächsischen Landtagswahl auf 20.000 DM reduziert, lautete der Vorwurf aus den Reihen der LAG-Frauen. Gegen die „Rufmordkampagne der LAG-Frauen“, wehrte sich im Gegenzug Waltraud Schoppe. Nur wenn dieses Störfeuer eindeutig zurückgewiesen werde, stünde sie als Frauenministerin zur Verfügung. Gleich nach ihr stellte Christa Karras klar, daß sie sich definitiv entschieden habe, Staatssekretärin im Frauenministerium zu werden und als „Ministerin nicht mehr zur Verfügung“ stehe. Damit war die Entscheidung zugunsten von Waltraud Schoppe gefallen.

Am Ende votierte der Parteitag in Hannover über das Paket des Vorstandes, das auch noch als Kulturstaatssekretärin Renate Jürgens-Piper und als Umweltstaatssekretär Peter Bulle umfaßte, mit dem knappen Ergebnis von 77 zu 54 Stimmen, Doch damit war selbst Trittin hochzufrieden: „Das Ergebnis signalisiert der SPD, daß man den Grünen jetzt nichts mehr zumuten kann“.