Kampf um politische Handlungsfähigkeit eröffnet

Funktionärsapparat der FDJ um 90 Prozent abgebaut / Immobilien, Güter und Gelder um 82 Prozent gesenkt / Von dubiosen Firmen mit ehemaligen Blauhemdenchefs trennte sich die FDJ / Öffentliche Selbstkritik: Vermögensfragen wurden unheimlich hinausgezögert  ■  Von Frank Nordhausen

Berlin (taz) - Nachdem die Regierungsparteien der DDR Ende Mai versucht hatten, die FDJ zu enteignen, ging die Jugendorganisation am vergangenen Mittwoch ihrerseits in die Offensive. Sie stellt der Presse eine vorläufige Vermögensübersicht vor. Die FDJ hat nicht nur ihren hauptamtlichen Funktionärsapparat um 90 Prozent abgebaut. Nach der präsentierten Vermögensübersicht haben sich auch ihre Immobilien, beweglichen Güter und Geldbestände seit September 1989 wertmäßig um 82 Prozent (von 268,6 Millionen auf 82,8 Millionen DDR-Mark) reduziert. Im einzelnen: zehn Gebäude seien samt Inventar kostenfrei an diverse Ministerien oder kommunale Träger übergegangen. 15 Immobilien seien im Besitz der FDJ verblieben, davon bewirtschafte die Organisation selbst allerdings nur fünf. Am Beispiel des FDJ-verwalteten Hauses in der Berliner Pistoriusstraße, einem exklusiven „Objekt mit Interhotel -Charakter“, wurde versucht, wie schwierig es teilweise sei, eine Nutzung für die Jugend zu sichern: „Daraus können wir keinen Jugendklub machen.“ Wie der FDJ-Finanzchef Andreas Thiele ausführte, sei die FDJ aber bereit, den im „Demokratischen Jugendbund“ (DJB) zusammengeschlossenen Jugendverbänden einige Objekte in Nutzung zu übergeben.

Die restlichen zehn Häuser würden zum größten Teil von „selbständigen Betrieben“ geführt, die dafür ein Entgelt an die FDJ entrichten und sich vertraglich verpflichtet hätten, einen bestimmten Teil ihrer Bettenkapazitäten den Jugendverbänden der DDR zu günstigen Preisen zur Verfügung zu stellen; allerdings werde dieses Angebot bisher nicht genutzt. (Es handelt sich dabei um zwei GmbH, deren Gesellschafter überwiegend ehemalige FDJ-Funktionäre sind.) Alle Verträge mit der „Power Music GmbH“ und der „Veranstaltungs-Service GmbH“ seien „aus politischen und moralischen Gründen“ im April gekündigt worden.

Undurchsichtig ist schließlich die Lage bei drei wertvollen Immobilien, darunter dem „Haus der Jugend“ Unter den Linden; sie seien an den rechtmäßigen Rechtsträger „Jugendheim GmbH“ zurückgegeben worden, eine Gesellschaft zur Förderung von Jugendarbeit, die 1947 von den späteren Politbüro -Mitgliedern Hermann Axen und Paul Wendel sowie der ersten Honecker-Ehefrau Edith Baumann gegründet worden war. Am 9. März stieg die FDJ über ihre Vorsitzende Birgit Schröder mit 50.000 Mark „offiziell“ in die Firma ein. Obwohl der Pressesprecher Fragen zur „Jugendheim GmbH“ nicht beantworten mochte, da dies nicht in den Verantwortungsbereich der FDJ falle, wiederholte er andererseits ein schon vor Monaten an den DJB gerichtetes Angebot, Mit-Gesellschafter zu werden. Hintergrund des Lavierens: die FDJ fürchtet besonders beim attraktiven „Haus der Jugend“, wo sie immerhin einen Großteil der Räume bereits anderen Jugendverbänden (kostenlos) zur Verfügung gestellt hat, den Zugriff des Staates.

Die Pressekonferenz sollte offenbar auch der Relativierung des erwähnten Untersuchungsberichtes dienen, der in der Presse erhebliches Aufsehen erregt hatte. Darin war bezüglich der beweglichen Vermögenswerte Veranstaltungsmaterial, Computer, Fahrzeuge, eine Rockbühne etc. - von erheblichen Fehlbeträgen bei Inventuren, von ausgebuchten und abgewerteten Materialien in Millionenhöhe die Rede gewesen. Diese Bilanzdifferenzen führte Andreas Thiele nun in erster Linie auf den rasanten Wertverfall und Preissturz in der DDR zurück: zudem seien viele Materialien ausgebucht worden, weil sie einfach nicht mehr zu gebrauchen seien, etwa Tausende von riesigen DDR-Fahnen und Tüten mit dem Aufdruck „Fackelzug der FDJ“. Alle Verkaufserlöse seien an den Staat geflossen.

Erstmals legte die Organisation die Höhe der verfügbaren Finanzmittel offen: danach befinden sich auf den Konten der FDJ zur Zeit 25 Millionen DDR-Mark, die zum größten Teil aus Solidaritätsspenden, Kultur- und Sozialfonds von FDJ- und Pionierorganisationsmitgliedern sowie aus nicht verbrauchten (Eigen-) Mitteln des letzten Pfingsttreffens stammten. Außerdem bestehen offene Forderungen in Höhe von 7 Millionen DDR-Mark, die sich, so Thiele, vor allem aus vorgestreckten Gehaltszahlungen an die Mitarbeiter der von der FDJ an diverse Ministerien abgegebenen Erholungsheime und Schulen zusammensetzten. Die FDJ leistete daneben noch erhebliche übergangszahlungen an entlassene MitarbeiterInnen. Die Schulden der FDJ beliefen sich auf 2,6 Millionen DDR-Mark. Unter dem Strich schreibt der Verband also schwarze Zahlen. Allerdings befürchtet man, die Gelder würden am 1. Juli nicht in DM umgetauscht.

Obwohl die FDJ ihr jetziges Vermögen nach den Worten von Pressesprecher Jahn weiter vermindern und nur „das für die Arbeit eines Jugendverbandes absolut Nötige“ behalten will, ist sie sich darüber im Klaren, daß der Kampf um die materielle Existenz und politische Handlungsfähigkeit eröffnet ist. Enteignet werden sollen unrechtmäßig erworbene Mittel. „Die haben wir aber nicht“, versicherte daher Rechtsberater Schönfeld.

Daß der Verband an der von Mißtrauen und Vorurteilen gekennzeichneten Situation nicht ganz unschuldig ist, kam in der Selbstkritik zum Ausdruck, die die Justitiarin Beate Fischer äußerte: „Die FDJ hat in der Vermögensfrage unheimlich gezögert. Die alte Führung hat versucht, mit allen Mitteln alles zu behalten und ging dabei von irrigen Vorstellunen aus. Sie war nicht bereit, sich vom alten Denken zu trennen.“ Mit ihrem Vermögensbericht bewegt sich die FDJ trotz eindrucksvoller Zahlenkolonnen letztlich jedoch auf unsicherem Terrain, denn der Finanzabschluß für 1989 - wesentliche Grundlage der vorgelegten Ziffern - ist immer noch nicht bestätigt worden.