Leipzig probt die „gute Verfassung“
Das Neue Forum organisierte am Montag auf dem Leipziger Altmarkt das Spektakel „Vereintes Deutschland in guter Verfassung“ / Auftakt zu weiterer Verfassungsdiskussion / Promis Wolf Biermann und Friedrich Schorlemmer argumentierten zwischen Altem und Neuem Testament ■ Aus Leipzig Stefan Schwarz
Die „Väter“ und „Mütter“ des neuen Verfassungsentwurfs geben noch nicht auf. Das Neue Form Leipzig machte am Montag mit einem Volkfest„Vereintes Deutschland in guter Verfassung“ mobil. Mit Deutschlands prominentesten Wechselbürger Wolf Biermann, Pfarrer Friedrich Schorlemmer und Verfassungsentwurfmitautor Erich Fischer hatten man drei Leute auf das Podium bestellt, die weder schwanzwedelnd den Anschluß begrüßen, noch dem ancien regime nachtrauern, und also Gewähr für gute Gründe boten.
Biermann machte denn auch zuvörderst seiner wohlwollenden Verachtung für sein Publikum Luft, die jetzt alle richtige „Westspießer“ werden müssen, und sich morgen schon „die Nasen abbeißen werden“ dem lieben Gelde wegen. Das Publikum schmunzelte ungläubig auf dem alten Markt und wartete sehnsüchtig auf die schönen'alten Lieder, die man früher nur unter Bettdecke mitgesummt hatte.
Schorlemmer fand dann sogar in Biermanns altestamentarischen Haß auf die vergangene Herrschaft seinen Ansatz, um das Auditorium auf die Qualität des neuen Verfassungsentwurfs einzustimmen. „Ausgrenzungen haben wir lange genug gehabt. Die Schweinehunde sind nicht an eine bestimmte Partei gebunden, wie wir jetzt ja sehen. Die beste Gewähr dafür, daß wir nicht die eine Herrschaft mit der anderen tauschen, ist eine neue Verfassung, in die unsere Erfahrungen mit unmittelbarer Demokratie, wie wir sie im herbst geprobt haben, eingehen.“
Erich Fischer erläuterte den letzten Revolutionären Leipzigs (etwa 1000 mochten es sein), warum eine Verfassung nicht eine abgehobene politische Deklaration , sondern der Katalog real einklagbarer Rechte ist, deren Nützlichkeit sich bald herausstellen könnte. Andererseits zeugte die jetzt sichtbare Tendenz, das Provisorium Grundgesetz einfach bei der Vereinigung zur Verfassung zu erhöhen, allein schon von staatsrechtlicher Dreistigkeit. Die Chance, eine wirklich moderne verfassung zu bekommen, werde verspielt. Im Hintergrund loderte schon das Feuer, in dem dann das Symbol Gestalt annehmen sollte, mit dem man dem festen Willen nach einer neuen Verfassung auch materielle Festigkeit verleihen wollte. Drei studenten der Hochschule für industriele Formgestaltung schmiedeten ein Schwert zur Pflugschar um. Das Produkt, wurde am Ende von Schöpfern und allerlei Volk zur Bereitschaftspolizei der Mahnung wegen getragen. Auch wenn der nächtliche Wachmann wieder zu rein gar nichts befugt war, blieb man doch guter Hoffnung das die Pflugschar hier oder an anderem öffentlichem Ort einen kritischen Verfassungsgeist anregt.
