betr.: "Die Straße aus Papier"

Noch eine Gruselshow in den S-Bahn-Katakomben am Potsdamer Platz: Die hier heißt Die Straße aus Papier, welchselbiges ein Theaterstück von Michael Peschke ist, das am Montag zur Vorsicht und Wahrung des „guten Geschmacks“ am Einheits -Tag danach - uraufführungshalber in den Untergrund ging und zwar unter sensationellster Anpreisung: „im seit 28 Jahren stillgelegten S-Bahnhof ... unter dem ehemaligen 'Todesstreifen‘ des Potsdamer Platzes ... im deutschen Geisterbahnhof ... unheimliche Begegnung ... Herz europäischer Metropole ... Sarg deutscher Geschichte“ etc. Dabei handelt es sich bei dem Opus des jungen Dichters doch eher um Schwerstkunst im beliebten Bitterfelder Expressionismus, in dem die bewährte Personage Soldat/Hure heinermüllermäßige Satzbedeutungsschwangerschaften austragen und Wortfetzen a la „fauliges Fleisch“, „sterbende Leiber“, „Schlachtfelder“, „Deutschland“, „Krieg“ etc. um sich lappen lassen. Logischerweise wird hier - zumal schon zur Ausnutzung des natürlichen Halleffekts der riesigen leeren unterirdischen Eingangshalle - ausgiebig geschrien (wenn nicht gerade die S-Bahn durchfährt), mit Stahlhelmen aufs unheimlichste herumgekickt, düsterst beleuchtet und totenmaskenmäßig geschminkt. Gehen soll es hierbei angeblich um „nicht zur Ruhe kommende Wiedergänger“, die „in Rucksäcken voller Schuld die unverarbeiteten Restposten der deutschen Geschichte mit sich herum schleppen“. Konkret: „Die Inszenierung zeigt eine pervertierte Vampirstory. Ein russischer Tourist versucht den Pfahl durch das Herz deutscher Geschichte zu bohren. Doch: Wer zu lang gegen Drachen kämpft, wird selbst zum Drachen.“ Aha, soso!

Mehr vermochte uns leider auch die Aufführung - übrigens eine Produktion des Verbandes der Theaterschaffenden der DDR, in der Regie des Magdeburger Axel Poppe - nicht zu erhellen. Schon merkwürdig, anderthalb Stunden dazusitzen und nichts, aber auch gar nichts mitzukriegen, worum es im entferntesten gehen könnte. Das Deutsch-Drama galt bisher als unaufführbar - zu Recht.

Doch wer steigt schon um der Künste Willen in die Katakomben? Aber daß man der natürlichen Sensationsgeilheit wie so oft nur unter gleichzeitiger Kunstbelästigung nachgehen kann, ist doch irgendwie ärgerlich.

Nächste Abführungen: am 24., 25., 26., 27. und 29. Juni um 22 Uhr unter dem Grenzübergang Potsdamer Platz.

grr - Foto: David Baltzer/Sequenz