Hausaufgaben

Die Überprüfung im Roten Rathaus ist politisch notwendig  ■  K O M M E N T A R

Der Streit um die Überprüfung leitender Mitarbeiter des Magistrat ist ein politischer Skandal. Skandalös ist aber nicht, daß eine frei gewählte Regierung herausfinden möchte, ob einige von Sachkenntnis ungetrübte leitende Mitarbeiter von der SED auf ihre Posten gehievt worden sind, oder ob sich Stasi-Offiziere im November auf bedeutende Ämter gerettet haben. Das sollte im Rahmen der politischen Erneuerung des Verwaltungsapparates Routinearbeit sein. Skandalös ist auch nicht, daß der Magistrat solchen Leuten und dies betrifft sicher nicht alle der 192 leitenden Angestellten - kündigen will. Der Skandal besteht darin, daß eine angeblich linke Protestbewegung aus bisherigen Tätern Opfer machen will. Ihr Slogan „Wir lassen uns nicht spalten“ ist eine politische Bankrotterklärung. Es geht nicht um Spaltung, es geht um Differenzierung. Wer an leitender Stelle im DDR-Staatsapparat tätig ist, hat gefälligst zu erklären, wie er dahin gekommen ist.

Die angeblich „neue“ PDS hat in diesem Konflikt erneut bewiesen, daß es ihr nicht um Auseinandersetzung sondern um Besitzstandswahrung geht. Die Schauspieler und die in der Kulturverwaltung tätigen Mitarbeiter, die den Protest mit vorangetrieben haben, obwohl sie überhaupt nicht von der Weisung des Magistrats betroffen sind, sollten sich einmal genau überlegen, wem sie da eigentlich die Stange halten. Wer über die jetzige Auseinandersetzung eine Renaissance des Herbstes herbeiführen will, verhält sich bestenfalls nostalgisch und politisch unverantwortlich. Das Engagement der Westberliner ÖTV ist angesichts Tausender neuer Beitragszahler in Ost-Berlin aus gewerkschaftsinterner Sicht heraus verständlich. Wer über seine arbeitsrechtliche Erbsenzählerei aber die viel größere Hausaufgabe vergißt die Mengenlehre aus 40 Jahren Stalinismus - gehört zurück in den Geschichtsunterricht.

Claus Christian Malzahn