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Bei der Primadonna geschürft

■ Deutsche Erstaufführung von Dominick Argentos „The Aspern Papers“ in Kassel

Die Suche nach dem künstlerischen Vermächtnis des Komponisten Aspern ist fürwahr ein Stoff, aus dem brillantes Musiktheater entstehen kann. Unter Anspielung auf die gut verbürgten Begebenheiten um Claire Clairmont - die Geliebte Lord Byrons und Mutter von dessen Tochter Allegra - schrieb Henry James 1888 seine Novelle The Aspern Papers. Ein Menschenalter nach dem Tod des englischen Dichters, 1824 auf dem Weg zu den griechischen Freiheitskämpfern eingetreten, tauchte bei der hochbetagten Madame Clairmont ein Captain Silsbee auf, ein Kunstkritiker und leidenschaftlicher Verehrer von Byron und dessen Freund Shelley. Um an die nachgelassenen Papiere der Poeten heranzukommen, welche die alte Dame aus unbekannten Gründen unter Verschluß halten sollte, mietete sich Silsbee bei der Clairmont ein und machte sich an deren im Hause lebenden Nichte Tita heran. Die aber koppelte nach dem Tod der Alten an die Herausgabe des Nachlasses die schlichte Bedingung, ordnungsgemäß geheiratet zu werden. Mr. Silsbee aber entfloh noch in selbiger Nacht.

Der 1927 in Pennsylvania geborene Dominick Argento komponierte mehr als ein Dutzend Opern. In der Regel bewies er bei diesen Arbeiten, die einer sehr gemäßigten Moderne zuzurechnen sind, gutes Gespür für ansprechende Stoffe und effektvolle Theatersituationen. In den USA erzielten vor allem Casanova's Homecoming seit 1985 und The Aspern Papers mit der Uraufführung 1988 in Dallas große Erfolge beim Publikum. Vor elf Jahren stellte das Staatstheater Karlsruhe die Argento-Oper Postkarte aus Marokko vor; seine Kammeroper Der Bär (nach Tschechow) wurde hierzulande bereits mehrfach inszeniert; Casanova kehrt heim vor einem Jahr in Osnabrück als leichte Sommerkost serviert. Und jetzt wurde das Staatstheater Kassel auf der Suche nach neuen Stücken mit Unterhaltungswert bei Asperns Papieren fündig. Man durfte sich einen kurzweiligen Opernabend versprechen.

Durchaus mit Geschick hat Argento den Dichter Aspern in einen Komponisten verwandelt, einen leidenschaftlichen und frühvollendeten Meister der Bellini-Ära. Die Florentiner Begebenheit, von James bereits in das pittoreske Venedig transponiert, wurde noch eine Ecke weiter - in eine Villa am Comer See - verlegt. Es ist das Ambiente jener Villa der Verlegerfamilie Ricordi aus Mailand, in der schon Rossini weilte und für die einst so hochberühmte Giuditta Pasta seine Anläufe zum höchsten Ton der Sängerin komponierte und in der Bellini seine Norma zum Abschluß brachte. Zwischen die Szenen, in denen der unbekannte Mieter an sein Ziel zu gelangen sucht (und die um die Jahrhundertwende angesiedelt sind), wurden Rückblenden auf die letzten Lebenstage Asperns eingeschoben (bei Argento auf das Jahr 1835, in der Kasseler Inszenierung auf 1860). Das Libretto veranlaßte Argento, immer wieder die (imaginäre) Musik Asperns zu „zitieren“, also größere Passagen im Stil der Bellini-Nachfolge zu schreiben. Im übrigen changiert der Tonsatz zwischen dem Gestus der frühen freien Atonalität und überreifem Puccini-Ton - das mag den Regisseur Siegfried Schoen veranlaßt haben, die Rahmenhandlung dem Jahr 1910 zuzuordnen.

Hans-Georg Schäfer sorgte für eine höchst angemessene Ausstattung. Zunächst hängt die Alte im Rollstuhl vor dem Orchestergraben ihren Erinnerungen nach, dann taucht der Repräsentationsraum der villamit dem Flügel aus dem Dunkel; der Blick auf den Garten und auf den See tut sich nach Lage der Dinge auf. Das Boot ist die entscheidende Requisite. In ihm ruderte Aspern, die mit ihm zusammenlebende Primadonna Juliana Bordereau hintergehend, nachts heimlich zur hübschen jungen Sängerin Sonia über den See. Am Abend der Fertigstellung seines Opus summum, der Medea-Partitur, wurde der Kahn aber von Juliana in einem unbemerkten Augenblick losgemacht, weil sie ihrem Aspern auf die Schliche gekommen war. Um auf die Lust nicht verzichten zu müssen, entschloß sich Aspern, den Comer See zu durchschwimmen. Und ward nicht mehr gesehen.

Die deutsche Übersetzung von Christoph Grothaus und Regisseur Schoenbohm mutet den Hörern Dialoge von Dallas und Denver-Niveau zu. Als Höhepunkt der gebündelten Banalitäten erscheint der Prolog zum II. Akt. Da steht der unbekannte Mieter wie sein eigenes Denkmal vorm Orchester und gibt eine Readers-Digest-Fassung des Medea-Mythos - ganz offensichtlich für das Publikum in Dallas und Denver bestimmt. Aber noch einmal läßt sich das Publikum hineinziehen in die kriminalistische Erörterung: Gibt es das entscheidende Stück aus dem Aspern-Nachlaß, die Medea -Partitur noch? Und wenn ja: Wo nur steckt sie in dieser Villa? Ein paar mal noch öffnet sich der Ausblick auf den See in wunderbaren Farben. Dann paßt der Mieter: der Preis für das ungewisse Geschäft ist ihm zu hoch. Die Partitur wird aus dem Klavierstuhl geholt - und Nichte Tina verbrennt sie, Seite für Seite. Nichts als die Asche betrogener Hoffnungen bleibt. Als säße Richard Clayann am Klavier: immer wieder mischt sich das Tasteninstrument mit überwältigender Seichtigkeit in das lichte Gewebe der Orchesterinstrumente, das wie im Nichts verebbt. Kräftiger Beifall für Robert-Dean Smith, den Aspern, für den Mieter Andreas Näck, die verblichene Primadonna Jeanette Favaro und die um ihr organisiertes Glück geprellte Julia ??, die Nichte Tina. Ungeteilter Beifall auch für Schäfers Bilder, Schoenbohms Inszenierung und die musikalische Leitung Jeanpierre Fabers. Diese deutsche Erstaufführung war ganz offensichtlich als Kontrapunkt der vom Staatstheater Kassel produzierten Unternehmung Patmos (Schweinitz/Berghaus) konzipiert - aber zwei auf ihre Art jeweils schlecht gemachte Stücke ergeben noch keinen guten Durchschnitt.

Frieder Reininghaus

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