Gigantomanie im Binnenmarkt

■ EG und EFTA verhandeln über „Europäischen Wirtschaftsraum“ / Ausweitung des Binnenmarktes / Freie Bewegung von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräften / Europaparlament befürchtet Entmachtung

Berlin (taz) - Groß, größer am größten: Heute beginnen in Brüssel die Verhandlungen über einen „Europäischen Wirtschaftsraum“ zwischen EG und Europäischer Freihandelszone (EFTA). Bis 1992 sollen sie ein Abkommen zuwege bringen, das den schon nach jetzigen Plänen weltgrößten Binnenmarkt - die EG - noch um die Schweiz, Österreich, Schweden, Finnland, Norwegen, Island und das assoziierte Liechtenstein erweitern würde. Die zwölf Außenminister der EG-Mitgliedsländer gaben jetzt grünes Licht für entsprechende Verhandlungen. Die Regierungschefs der EFTA-Länder hatten sich bereits letzten Donnerstag in Göteborg bei dem Treffen zum 30. Gründungstag ihrer Organisation auf eine gemeinsame Plattform geeinigt.

Von gleichberechtigter Partnerschaft kann bei den Plänen der EG allerdings keine Rede sein: Danach sollen die EFTA -Länder zwar in den Genuß der sogenannten vier Freiheiten freier Austausch von Kapital, Dienstleistungen, Waren und Arbeitskräften - kommen, doch nicht an den politischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Ihnen wird lediglich ein Informations- und Konsultationsrecht zugebilligt. Grundsätzlich sollen die EFTA-Länder das EG -Recht in allen wesentlichen Fragen übernehmen. Besonders in der Wettbewerbspolitik habe die EFTA erhebliche Defizite aufzuholen, verlautet aus der Brüsseler Verwaltung.

Die EFTA-Staaten hingegen verlangen eine gemeinsame Institution, bei der Initiativen von EG- und EFTA-Ländern zum Europäischen Wirtschaftsraum eingebracht werden können. Zudem wünschen sie einen gemeinsamen Gerichtshof zur Überwachung des Abkommens. Zwar haben sich die Regierungen der EFTA-Staaten in Göteborg, wie von der EG-Kommission verlangt, darauf geeinigt, mit einer Stimme zu sprechen, doch ihre internen Differenzen bieten reichlich Zündstoff für die Verhandlungen. So wehrt sich beispielsweise die Schweiz gegen die Übernahme der Freizügigkeit, Schweden will seine hohen Umweltstandards nicht aufgeben, und Island fürchtet um die Fischvorräte vor seinen Küsten... Eine 50seitige Liste zählt die Ausnahmewünsche der EFTA -Mitglieder auf.

Die Wirtschaftskooperation zwischen EFTA und EG hat bereits Tradition. Seit 1984 verbindet sie ein Freihandelsabkommen, das allerdings landwirtschaftliche Güter ausschließt. Die Handelsströme der EFTA-Länder sind vor allem auf die EG ausgerichtet, die zahlreichen Konzerne aus EFTA-Ländern haben sich längst Standbeine in der EG geschaffen. Wenn die EG jetzt eine Formalisierung dieser Beziehungen unter dem Siegel „Europäischer Wirtschaftsraum“ anstrebt, so ist dies auch ein Versuch, Beitrittswünsche einzelner EFTA-Mitglieder abzubügeln - Österreich hat seinen Antrag bereits eingereicht, in Schweden und Norwegen wird dieser Schritt diskutiert. Ob dieser Schachzug gelingt, hängt ganz vom Ausgang der komplizierten Verhandlungen ab. Diejenigen EFTA -Mitglieder, die sich noch nicht für einen EG -Beitrittsantrag entschieden haben, streben dennoch den Europäischen Wirtschaftsraum an, weil sie befürchten, andernfalls von dem EG-Binnenmarkt an den Rand gedrängt zu werden.

Politische Ängste vor der Annäherung EG-EFTA kommen aus dem Europaparlament. Zwar unterstützen die Parlamentarier im Prinzip den „Europäischen Wirtschaftsraum“, doch fürchten sie, daß ihnen auf diesem Umweg weitere Mitsprachemöglichkeiten auf dem Weg zum Binnenmarkt genommen werden. Denn für den „Europäischen Wirtschaftsraum“ ist weder ein Parlament noch eine andere demokratisch legitimierte Instanz vorgesehen.

Dorothea Hahn