Polen fürchtet Konkurrenz mit vereinigtem Deutschland

Bringt die Vereinigung der beiden deutschen Staaten Polen in ein halbkoloniales Abhängigkeitsverhältnis zum mächtigen westlichen Nachbarn? / Schlechte Aussichten für polnische Vertragsarbeiter in der DDR / Polens Baufirmen bangen um ihre Zukunft / Die Verrechnung polnischer Guthaben in DDR-Mark ist nach wie vor ungeklärt  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Polen fordert von der Bundesrepublik und der DDR, nach der Vereinigung beider deutscher Staaten Verträge und Vereinbarungen mit Polen nicht einseitig auszusetzen oder für ungültig zu erklären. In einem Memorandum, das Polens Außenminister Skubiszewski am Wochenende den Botschaftern der Bundesrepublik und der DDR in Warschau übergab, drückt die polnische Seite die Hoffnung aus, die drei Staaten würden in Kürze auf Expertenebene Verhandlungen darüber beginnen, welche der zweiseitigen Handels- und Wirtschaftsverträge, die Polen in der Vergangenheit mit einem der beiden deutschen Staaten geschlossen hat, nach der Wiedervereinigung ihre Gültigkeit behalten sollen bzw. geändert werden.

Das Memorandum wurde vor dem Hintergrund zunehmender Unsicherheit über die wirtschaftlichen Folgen der deutschen Einheit für Polen verfaßt. Es gebe zahlreiche Verbindungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten, die nicht auf Kosten eines Partners aufgelöst oder ausgesetzt werden dürften, heißt es in dem Memorandum weiter. Insbesondere gelte dies auch für den Fall, daß die DDR künftig Teil der Europäischen Gemeinschaft werde: „Die polnische Regierung gibt der Hoffnung Ausdruck, daß jene Importbeschränkungen, denen Polen zur Zeit im Bezug auf die EG unterliegt, keine Anwendung finden.“ Polen wickelte bisher circa fünf Prozent seines gesamten Außenhandels mit der DDR ab, wobei der Im und Export von Elektromaschinen eine besondere Rolle spielte.

Fast zehn Prozent des gesamten polnischen Elektromaschinenimports kam bisher aus der DDR, fast sieben Prozent des polnischen Exports dieser Maschinen wurde in der DDR verkauft. Innerhalb des RGW hatte die DDR in diesem Bereich eine unangefochtene Spitzenposition. Für Polen war das insofern günstig, als die Importe nicht mit harten Devisen, sondern im Rahmen der RGW-Handelsprotokolle abgewickelt wurden. Mit der deutschen Einheit wäre diese Zeit vorbei - künftig müßte Polen seine DDR-Importe in D -Mark bezahlen, würde aber auch D-Mark für seine Exporte erhalten. Gleiches gilt im Bereich der Energie, wo Polen Überschüsse produziert, während ihrerseits die DDR mehr chemische Produkte nach Polen exportiert als einführt.

Daß auch Polens Exporte künftig in Hartwährung verrechnet werden, ist jedoch nur ein geringer Trost. Denn Polen exportiert in die DDR zu einem großen Teil Rohstoffe, die auf dem Weltmarkt häufig enormen Preisschwankungen ausgesetzt sind. „Es besteht die Gefahr“, findet etwa die 'Gazeta Bankowa‘, daß wir bei einer weiteren Verschlechterung unserer Exportstruktur den ersten Schritt in ein halbkoloniales Abhängigkeitsverhältnis mit unserem mächtigen westlichen Nachbarn tun.“ Der polnische Elektromaschinenexport halte die Konkurrenz mit einem vereinigten Deutschland kaum aus, zumal er bisher auch nicht durch Importzölle vom Westen her belastet gewesen sei. Werde die DDR in die EG aufgenommen, sei es damit vorbei: Schlechte Maschinen, die noch dazu teurer sind als westliche, wer kauft die dann?

Nicht genug, so meinen Skeptiker, daß infolge der deutschen Einheit in Polen Betriebe, die sich auf den DDR-Export spezialisiert haben, Konkurs gehen könnten - die Arbeitslosenzahl werde sich ohnehin infolge der Einheit weiter erhöhen. 33.000 polnische Arbeiter befinden sich zur Zeit noch aufgrund von Verträgen polnischer und ostdeutscher Baufirmen in der DDR. Angesichts der Angst vor der Arbeitslosigkeit in der DDR scheinen ihre Tage gezählt. Ein weiterer Schlag für die bisher ausgeglichene Handelsbilanz Polens mit der DDR. Aufgrund der Bauaufträge erzielte Polen etwa 1988 einen Überschuß von 42 Milliarden Zloty, was immerhin 16 Prozent des gesamten polnischen DDR-Exports entsprach. Ob Polens Baufirmen der Konkurrenz aus der BRD, für die durch die Währungsunion das Bauen in der DDR erst so richtig attraktiv wird, etwas entgegenzusetzen haben, ist mehr als fraglich, besonders vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosigkeit in der DDR selbst.

Auch für Otto Normalverbraucher ist die deutsche Einheit alles andere als ein Grund zur Begeisterung. Nach wie vor ist unklar, wie zum Beispiel jene DDR-Mark-Guthaben verrechnet werden sollen, die sich auf polnischen Bankguthaben befinden. Nun rächt sich Polens Vorreiterrolle bei der Einführung der Konvertibilität. Selbst geschmuggelte Ost-Devisen, ganz gleich ob Mark, Rubel oder tschechische Kronen, können in Polen nämlich schon seit einem Jahr ganz legal in harte Währungen eingetauscht werden. Aus diesem Grund befinden sich auf den polnischen Ostwährungskonten (abgekürzt S-Konten) auch ganz unterschiedliche Gelder: Gelder, die in der DDR arbeitende Vertragsarbeiter - etwa in der Bauindustrie - legal in der DDR verdient haben und anschließend in Polen einbezahlten, sowie Spekulationsgelder, die in der Hoffnung gehortet wurden, es werde zu einem Umtausch 1:1 auch außerhalb der DDR kommen, oder Gewinne aus Schwarzmarkt-Transaktionen, bei denen die Kursunterschiede zwischen der DDR-Mark in West-Berlin, Ost -Berlin, Budapest und Polen ausgenutzt wurden.

In Warschaus Wechselstuben wird die DDR-Mark bereits unter einem Kurs von 1:3 im Verhältnis zur D-Mark gewechselt. Unsicher ist allerdings, ob die „S-Konten“ überhaupt in den Umtausch einbezogen werden, denn aus der Sicht der DDR handelt es sich ausnahmslos um Schwarzgeld. Die Ausfuhr von Mark der DDR war, ganz gleich, ob diese legal oder illegal erworben wurden, stets streng verboten. Die Kommission hat indessen noch eine weitere harte Nuß zu knacken: Die Verträge polnischer Baufirmen in der DDR lauten auf Rubel, und der ist nicht nur nicht konvertibel, sondern wird auch von der Währungsunion gar nicht berührt. Keine rosigen Aussichten für Polens Vertragsarbeiter in der DDR...