Furchtbare Richter anderer Art

Über Wünsches General-Persilschein-Angebot an DDR-Richter  ■ K O M M E N T A R E

Dieser Justizminister Wünsche, seines Zeichens Überlebensvirtuose des Realsozialismus, der es geschafft hat, seinen Amtssessel, den er im Kabinett Stoph angewärmt hat, auch noch in den Regierungen Modrow und de Maziere zu sichern, gehört gewiß zu den verheerendsten Altlasten der DDR. Man könnte sich ernsthaft streiten, was für die Bevölkerung gefährlicher ist, seine Amtstätigkeit oder der Silbersee von Bitterfeld. Er ist nachgerade die Charaktermaske der Sozialpolitik jener Führungkader, von Stasi-Obersten über Abteilungsleiter bis zu den Kombinatsdirektoren. Sie hatten längst schon die DDR aufgegeben, bevor Kohl Tempo machte. Sie kämpften nicht politisch um die Macht, sondern verknüpften ihre Seilschaften fürs geeinte Deutschland. Das Tempo der Vereinigung konnte ihnen und ihren Untergebenen nur recht sein. So ist Wünsche jetzt ertappt worden, daß er den DDR -Richtern die Chance einräumte, ihre Personalakten zu säubern, damit sie auch im geeinten Deutschland eine Lebensstellung haben. Das ist schlicht Arbeitsplatzsicherung auf Kosten des Rechts.

Selbstverständlich kann man sich nicht mit ungebrochenem Pathos empören: Von der DDR kann nicht deswegen eine vorbildliche Vergangeneietsbewältigung abverlangt werden, weil in Deutschland nach 1945 die Vergangenheitsbewältigung nicht stattfand. Es geht nicht um Massenmorde und im Normalfall auch nicht um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, es geht um Erfüllungsgehilfen der Diktatur. Ein abschwächendes „Nur“ ist aber bei dieser Differenzierung nicht gerechtfertigt. Auch DDR-Richter sollen eine Chance haben, aber nicht ausschließlich die Chance, ihr Amt zu behalten, sondern vor allem die Chance, sich mit ihrer bisherigen Tätigkeit auseinanderzusetzen, sich zu verändern, neu anfangen zu können. Gerade darum müssen die Personalakten unfrisiert bleiben. Eine direkte politische Provokation ist es zudem, daß Wünsche zufolge für alle Unrechtsurteile vor dem 9. Oktober 1989 eine generelle Indemnität gewährt werden soll.

Diese Weißwaschaktion jedoch setzt nur den „Rechtsnihilismus“ in der DDR fort. Und Rechtsunsicherheit ist die Seuche, die gegenwärtig in der DDR umgeht, die die Leute in Resignation, Apathie und hilflose Wut stürzt. Die sozialistische Moral, die frühere Richtschnur für die Urteilspraxis, hieß nichts anderes als ein Exzeß an obrigkeitsstaatlicher Unterwerfung. Also totalitäre Rechtsunsicherheit. Dieselben Richter, die jetzt ihre Personalakten säubern, geben allen Anlaß zur Befürchtung, daß sie sich ebensofreudig den Wünschen einer neuen Obrigkeit unterwerfen. Die Lebensstellung soll ja im Prinzip die Unabhängigkeit des Richters schützen. Diese Erschleichung der Lebensstellung aber macht die Unabhängigkeit zur Farce. Natürlich braucht die DDR jetzt Richter. Aber die Richter müssen auch überprüft werden können, und zwar mit Konsequenzen. Das braucht Zeit. Sie würde durch derlei Absicherungen verspielt werden. Auf jeden Fall aber kann jetzt schon vorgeschlagen werden, daß diejenigen Richter, die sich beeilten, ihre Personalakte zu säubern, besser nicht im Amt bleiben. In diesem Sinne hätte Wünsche schon einmal eine negative Auslese geschaffen. Im übrigen ist ohnehin ein Revirement des Kabinetts de Maziere nötig. Der Fall Wünsche macht es noch einmal dringlicher.

Klaus Hartung