Iliescu versuchte einen neuen Reichstagsbrand

Die Sympathie in der Bevölkerung, die Iliescu immer noch genießt, hat mit einem Sozialvertrag zu tun, behauptet der Oppositionelle Dan Oprescu  ■  I N T E R V I E W

Dan Oprescu, 36, Historiker, ist Redaktionsmitglied der Wochenzeitung '22‘, die zu einem Flaggschiff der demokratischen intellektuellen Opposition geworden ist. Die Ausgabe der letzten Woche konnte nicht erscheinen, da sich angeblich die Druckereiarbeiter weigerten, dieses „regierungsfeindliche Blatt“ zu drucken. Auch die regierungskritische Tageszeitung 'Romania Libera‘ wurde ab Donnerstag am Erscheinen gehindert. In beiden Zeitungen erschienen am Donnerstag letzter Woche Bergarbeiter, um die Redaktionen einzuschüchtern. Dan Oprescu war auch Mitglied der rumänischen Delegation, die vor zwei Wochen zur der Menschenrechtskonferenz der KSZE in Kopenhagen eingeladen war.

taz: Wie ging die Aktion der Bergarbeiter hier in der Redaktion vor sich?

Dan Oprescu: Wir wurden durch einen Anruf informiert, daß Bergarbeiter von Zivilen aufgefordert waren, hier nach dem „Rechten“ zu sehen. Wir haben sofort die Polizei informiert, die dann auch tatsächlich kam. Fünf Polizisten haben dann das Haus vor den anrückenden Bergarbeitern gesichert. Interessant ist der Umstand, daß ein Mann, auf den die Bergarbeiter hörten, ein Papier der Stadt vorlegte, das uns die Nutzungsrechte am Haus streitig machen wollte. Es gehörte nämlich früher dem kommunistischen Jugendverband.

Da der Bürgermeister auch informiert war und zu uns kam, wurde festgestellt, daß das Papier eine Fälschung ist. Bis Montag konnten wir dann selbst nicht mehr in die Redaktionsräume. Wir werden aber weitermachen und alles daran setzen, die nächste Zeitung herauszubringen. Vielleicht müssen wir aber den Umfang reduzieren und statt 24 nur noch 16 Seiten bringen.

Iliescu hat der Opposition vorgeworfen, „rechtsradikal“ zu sein und von der „Eisernen Garde“, der faschistischen Organisation der Zwischenkriegszeit, gelenkt zu werden.

Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Die klassische „faschistische Bewegung“ wurde schon 1941 durch den Diktator Antunescu zerstört. Aber das nur nebenebei. Es mag noch einzelne „Kameraden“ geben, sie stellen aber keine Bedrohung mehr dar. Dagegen konnte sich im Schutze der Front eine rechtsradikale Strömung halten oder etablieren. Die um die Zeitung 'Romania Mare‘, „Großes Rumänien“, gescharte Gruppe wird von Iliescu und der Front nicht behelligt.

Die beiden bekannten Vertreter dieser Gruppe, Eugen Barbu und Corneliu Vadim Tudor, die von Italien aus unterstützt werden, nämlich von Iosif Constantin Dragan, sind als Securisten bekannt. Sie waren schon aktiv für Ceausescu, der sehr bewußt auf nationalistische Strömungen in der Partei baute.

Jetzt favorisieren diese Leute die Linie der Regierung, indem sie uns, der Zeitung '22‘ und 'Romania Libera‘, vorwerfen, „antirumänische Aktivitäten“ zu unterstützen und verantwortlich für alles zu sein, was passiert.

Schon der Begriff erinnert an die McCarthy-Ära, ein Signal für die Intellektuellenhatz. Sie hat ja schon begonnen. Auf einer Liste für Leute, die verhaftet werden sollen, stehen die Namen unserer gesamten Redaktion. Unserem Chefredakteur, Stelan Tanase, der zur Zeit in Schweden ist, wurde bedeutet, nicht mehr ins Land zurückzukehren. Er war sehr aktiv auf dem „Platz der Universität“. Diese spezielle Art der Unterdrückung kennen wir schon aus der Zeit vor der kommunistischen Machtübernahme kurz nach 1945. Heute benutzen sie wieder ähnliche Methoden und Inhalte.

Es soll zu Spannungen innerhalb der Front über den weiteren politischen Weg gekommen sein. Silviu Brucan, der Chefideologe der „Front der Nationalen Rettung“, ist von Iliescu abgerückt. Ende letzter Woche haben das Kulturministerium und das Erziehungsministerium scharf Stellung gegen den Aufmarsch der Bergarbeiter genommen.

Es soll Auseinandersetzungen innerhalb der Front geben, das ist richtig. Denn die Aktion der Bergarbeiter geht manchen auch dort zu weit. Interessant ist die Position von Verteidigungsminister Stanculescu. Er gibt sich in dem Konflikt neutral. Erinnern wir uns an Temeswar im Dezember. Ceausescu wollte dort auch Arbeiter einsetzen, die Armee war aber dagegen.

Doch solange man keine neue Politik spüren kann, sind dieses Spekulationen müßig. Wichtig ist festzuhalten, daß die Regierung und Iliescu am 13.Juni die Methode des „Reichstagsbrands“ versuchten. Es ist inzwischen klar, daß die Feuer im Innenministerium und im Fernsehgebäude nicht von Demonstranten der demokratischen Bewegung gelegt wurden, sondern im Gebäude selbst. So gesehen ist die Aktion der Bergarbeiter selbst eine an den Faschismus erinnerende Vorgehensweise, und deshalb betone ich den Vergleich mit dem Reichstagsbrand.

Wie ist die Zustimmung für Iliescus Bergarbeiteraktion bei weiten Teilen der Bevölkerung zu erklären?

In der Tat waren die Wahlen regulär und zeigen den Bewußtseinsstand der Rumänen auf. Viele geben sich eben mit kleinen Erleichterungen zufrieden, die Bauern haben etwas Land bekommen, die Arbeiter die Fünf-Tage-Woche.

Und vergessen wir nicht, die großen Fabriken wurden unter Ceausescu gebaut, in ihnen wird wenig produktiv gearbeitet, das Versprechen Iliescus, die Arbeitsplätze zu erhalten, ist für viele wichtig. Diese Arbeiter kommen vom Land, leben in schlechten Wohnungen, vielen erscheint dieses Leben aber noch besser als das auf dem Lande. Es hat also einen „Sozialen Vertrag“ gegeben zwischen der Front und einem großen Teil der Bevölkerung.

Die Bergarbeiter sind besonders privilegiert, sie bekommen mit 5.000 Lei das Doppelte eines Durchschnittsgehalts. Sie haben ihre Privilegien, gekürzte Arbeitszeiten, hohen Lohn und lange Ferien verteidigt. Außerdem sind diese Arbeiter nach dem Streik im Shili-Tal von 1977 massiv eingeschüchtert und durch Ceausescu-treue Arbeiter ausgetauscht worden.

Die Intellektuellen haben nicht verstanden, daß es diesen Sozialvertrag gibt. Seine Existenz erklärt aber, daß die Regierung und Iliescu sich von Anfang an weigerten, einen echten Dialog mit der Demokratiebewegung zu beginnen.

Interview: Erich Rathfelder