Rumäniens Oppositionelle hoffen auf die Armee

Die Regierung reagiert widersprüchlich / Es gibt Hinweise auf politische Auseinandersetzungen innerhalb der „Front zur Nationalen Rettung“ / 'Romania Libera‘ und andere Oppositionsblätter können seit Dienstag wieder erscheinen / Parteien wollen weitermachen  ■  Aus Bukarest Erich Rathfelder

Noch ist die politische Richtung nicht geklärt, in die Rumänien fahren soll. Denn trotz der überwältigenden Mehrheit im am Montag erstmals tagenden neuen Parlament für den Vorschlag der „Front zur Nationalen Rettung“, künftig Polizei und Streitkräfte gegen Demonstranten einzusetzen, bleibt offen, welcher Kurs eingeschlagen wird. Seit Montag abend sind der Vorsitzende der „Liga der Studenten“, der von Bergarbeitern schwer verletzte Marian Monteanu, der Vertreter der Organisation ehemaliger Gefangener, Dumitru Dinca, und das Mitglied der Nationaldemokratischen Partei, Nica Leon, festgenommen worden. Gegen einige hundert der tausend letzte Woche Festgenommenen wird Anklage erhoben.

Gleichzeitig jedoch bemühte sich der neue Innenminister Doru Viorel Ursu um einen Dialog mit den Oppositionellen. Und der Iliescu nahestehende Abgeordnete Dan Iosif gab auch die Exzesse durch den Einsatz der Bergarbeiter zu. In den Dienstagsausgaben der der „Front“ nahestehenden Zeitungen wurde sogar über Übergriffe der Bergarbeiter berichtet. Auch die Oppositionszeitungen wie 'Romania Libra‘ konnten am Dienstag wieder erscheinen. Gleichzeitig finden Gerüchte über scharfe Auseinandersetzungen innerhalb der „Front“ und zwischen Regierung und Armee immer wieder neue Nahrung.

Nach der am Wochende von vielen Oppositionellen vorgenommenen Bestandsaufnahme über die Ereignisse der letzten Woche kristallisiert sich heraus: die Brände im Innenministerium und im Fernsehen, die Iliescu den Demonstranten der demokratischen Opposition in die Schuhe schob, sind von anderer Seite gelegt worden. Ein Untersuchungsausschuß, der auch mit den Stimmen der oppositionellen Parteien im Parlament am Montag beschlossen wurde, soll die Vorgänge genau untersuchen. Für die These einer Provokation gibt es viele detaillierte Hinweise: die Brände in der Polizeizentrale und in dem im gleichen Gebäudekomplex untergebrachten Innenministerium, bei denen Akten vernichtet wurden, nahmen in den oberen Stockwerken des Gebäudes ihren Ausgang. In einer Pressekonferenz am Samstag erklärten Verantwortliche des Fernsehens, es wären keine Studenten an der Aktion gegen ihre Institution beteiligt gewesen.

Auffällig ist der Rückzug der Polizei am Nachmittag des letzten Mittwochs, die damit den Demonstranten das Feld überließ. Viele Zeugen wollen innerhalb der zum Innenministerium und zum Fernsehen strebenden Menge von nicht mehr als einigen hundert Personen Provokateure erkannt haben (die taz berichtete). Diese Demonstration und vor allem der Rückzug der Polizei (Innenminister Chitzak mußte deshalb gehen) habe dann den Vorwand für das Eingreifen der Bergarbeiter gegeben, mit all ihrer Grausamkeit und Primitivität (siehe Interview). Und den Vorwand für die Gründung einer neuen, Iliescu unterstellten Eingreiftruppe.

Doch schon am Ende der letzten Woche wurden Risse in der herrschenden „Front“ und in der Regierung sichtbar. Scharf nahm Kulturminister Andrei Plesu gegen die Gewalt durch die Bergarbeiter Stellung. Wer den Weg nach Europa gehen wollte, dürfte sich solcher Mittel nicht bedienen. Das Erziehungsministerium erklärte sich gegen die Zerstörung der Universitätsbiblilothek. Vertreter der Roma-Organisationen, die die Front bei den Wahlen unterstützt hatten, nahmen gegen die gezielten, pogromartigen Übergriffe der Bergarbeiter auf Mitglieder ihrer Minderheit öffentlich Stellung.

Schon Ende Mai hatte der Chefideologe der „Front“, Silviu Brucan, Iliescu Selbstherrlichkeit vorgeworfen und auf die Notwendigkeit hingewiesen, gerade nach dem Wahlsieg auch mit den Intellektuellen ins Gespräch zu kommen. Die „Front“, so Brucan damals, müsse sich modernisieren, ihre Organisationsstruktur demokratisieren, sich glaubhaft von der Vergangenheit lösen, um den Weg nach Europa gehen zu können. Ausdrücklich lobte Brucan in dem Interview den Pragmatismus von Premierminister Roman. Iliescus Aktion mit den Bergarbeitern, so vermuten einige Oppositionelle, sei zumindest objektiv gegen die Strategie Brucans gerichtet.

Ausdruck eines Machtkampfs könnte auch die Veränderung in der Berichterstattung des Fernsehens sein. Kamen am Freitag zwar schon Vertreter der Opposition zu Wort, so zeigte das Fernsehen am Sonntag sogar direkt Bilder vom Platz vor der Universität. In den ersten Nachrichten um 8 Uhr am Sonntag sahen die verwunderten Fernsehzuschauer Bilder von Protestierenden, die „Nieder mit Iliescu!“ skandierten. Der Bericht wirkte wie eine Aufforderung an alle, auf den Platz zurückzukehren. Nach einer Fußballübertragung wurden direkte Bilder vom Platz mit nunmehr über 3.000 Menschen übertragen.

Daß das Ganze nach einer Inszenierung roch, war vielen der Anwesenden bald klar. War es eine Provokation oder zeigte diese Aktion, daß es Sympathisanten für sie in der Führung gibt? Die Unsicherheit über diese Frage ist wohl ein Grund dafür, weshalb die Demonstrationen am Montag und am Dienstag nur mit wenigen Teilnehmern stattfanden. Wenn die Übertragung aber bedeutete, die Armee und ein Teil der „Front“ stellte sich gegen Iliescu, würde dies von der Opposition begrüßt. „Vielleicht wäre eine vorübergehende Militärdiktatur die einzige Chance für die Demokratisierung der Gesellschaft“, drückte ein bekannter Autor der Opposition die Hoffnungen der Demokratiebewegung aus. Und auch die, das Ausland möge Iliescus Staat boykottieren. Am Montag abend beschlossen die EG-Außenminister, das erst Anfang letzter Woche paraphierte Handels- und Kooperationsabkommen erst einmal auf Eis zu legen.