Zwei weitere RAF-Mitglieder in der DDR gefaßt

■ Silke Meyer-Witt und Henning Beer lebten seit Anfang der 80er Jahre im Osten / DDR-Innenminister Diestel bezeichnet die RAF als „individuelles Hobby“ von Erich Honecker und Stasi-Chef Mielke / Sie hätten Parallelen zur eigenen Geschichte gesehen

Berlin (taz) - In der DDR sind am Montag erneut zwei frühere mutmaßliche Mitglieder der RAF festgenommen worden. Am Montag nachmittag wurde in Neubrandenburg die 40jährige Silke Meyer-Witt und nur wenige Stunden später am gleichen Ort der 31jährige Henning Beer von Einsatzgruppen des zentralen Kriminalamtes Ost-Berlin verhaftet. Beide leisteten keinen Widerstand. Die alleinstehende Silke Meyer -Witt, die unter dem falschen Namen Sylvia Bayer seit 1.10.1980 in der DDR lebte, war zuletzt als Leiterin einer Dokumentationsstelle eines pharmazeutischen Betriebes tätig. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr vor, bei einem versuchten Anschlag auf das Gebäude der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe (1977) und an der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer (1977) beteiligt gewesen zu sein. Beide erhielten die DDR-Staatsbürgerschaft.

Henning Beer lebte seit 29.7.1982 unter dem Namen Dieter Lenz in der DDR. Ihm wird ein Sprengstoffanschlag auf eine US-Airbaise in Ramstein 1981 und die Vorbereitung zu einem Sprengstoffanschlag auf eine Discothek in Spanien zur Last gelegt.

Der Festnahme Maier-Witts ging ein entscheidender Tip eines ehemaligen Stasi-Mitarbeiters voraus. Ein „Teilverantwortlicher“, so erklärte es gestern DDR -Innenminister Peter-Michael Diestel (DSU), habe einen „Sinneswandel“ durchgemacht und sich schließlich zur Zusammenarbeit mit dem Innenministerium entschlossen. Name und Funktion des Stasi-Mannes wollte Diestel nicht preisgeben. Es habe sich aber um einen „ehemaligen führenden Mitarbeiter“ der Stasi gehandelt.

Die Verantwortung dafür, daß den RAF-Aussteigern in der DDR eine neue Identität, Wohnungen und Arbeit verschafft wurde, trägt, so Diestel, ein „ganz geringer personeller Kreis“, der „extrem“ abgeschottet gewesen sei. Im Innenministerium sei man nun zu der Erkenntnis gelangt, daß es sich um ein „individuelles Hobby des Herrn Honecker und Herrn Mielke“ gehandelt habe. Honecker und Mielke hätten bei den RAF -Leuten eine „gewisse Parallele zu ihrer eigenen Geschichte“ gesehen.

Quartiermacher für die RAF-Pensionäre war nach Diestels Darstellung die Hauptabteilung XXII des früheren Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). „Die Herstellung der neuen Identität wurde nach dem bisherigen Stand der Prüfung in einem Ferienobjekt des ehemaligen MfS in Briesen, Bezirk Frankfurt/Oder, vorgenommen“. Nach den Aussagen von früheren Mitarbeitern der Abteilung soll es zwischen den RAF -Aussteigern und der Stasi auch ein gentleman-agreement nach dem Motto gegeben haben: „Wir bringen euch unter - Ihr laßt uns in Ruhe.“

Für die Hauptabbteilung XXII (Terrorabwehr, Überwachung und Kontrolle) war der MfS-Oberst Franz verantwortlich. Gemeinsam mit anderen Abteilungen, darunter die Hauptabteilung XX - zuständig für Maßnahmen gegen die „politisch-ideologische Diversion“ und Maßnahmen gegen „Andersdenkende“ - unterstand sie der Dienstaufsicht des stellvertretenden Stasi-Ministers Generalleutnant Neiber. Die am Wochenende kursierenden Gerüchte, wonach sich Neiber in die BRD abgesetzt hätte, wurden gestern in Ost-Berlin dementiert.

Auch die Meldungen, die am Wochende durch die Medien geisterten und nach denen die Stasi aktive RAF-Kader unterstützt haben soll, wollte Diestel gestern nicht bestätigen. Es gebe keine Anhaltspunkte für „eine Beteiligung an RAF-Aktivitäten in der Bundesrepublik“.

Von führenden westdeutschen Politikern war in den letzten Tagen wiederholt gefordert worden, gegen Ex-Spionagechef Markus Wolf ebenso ein Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung einzuleiten wie gegen Honecker und Stasi-Chef Mielke. Die Abteilung XXII, so Diestel, habe in „keiner Phase“ mit Markus Wolf zu tun gehabt.

Wolfgang Gast