DDR-Justiz: Persil im Selbstversuch

■ Nach einem Pressebericht gibt das DDR-Justizministerium Personalakten zur „Überarbeitung“ durch die Betroffenen heraus, damit Stellen und Pensionen auch in einem künftigen Gesamtdeutschland gesichert sind

Berlin (dpa/taz) - Der liberale Justizminister Kurt Wünsche kommt aus den negativen Schlagzeilen nicht mehr heraus. Neuester Coup seines Hauses: Richter und Staatsanwälte dürfen eigenhändig ihre Personalakten bereinigen, damit ihnen auch in einem Gesamtdeutschland Anstellung auf Lebenszeit und eine entsprechende Pension sicher sind. Einem Bericht der 'Frankfurter Rundschau‘ zufolge gibt das Justizministerium Richtern und Staatsanwälten derzeit nicht nur ihre Personalakten aus, sondern läßt auch zu, daß die Juristen Belobigungen des SED-Staates für besonders linientreue Rechtspflege tilgen können.

Die Juristen sind nicht die einzigen, die sich die veränderte Situation seit der Wende zunutze gemacht haben, ihre Unterlagen weißzuwaschen. Auch bisher war es möglich, die eigene Kaderakte unter Aufsicht einzusehen, und manch einer packte nach dem Herbst die Gunst der Stunde beim Schopfe, um das eine oder andere herauszustreichen.

Im Gegensatz zu diesen individuellen Aktionen scheint es sich jedoch im Falle des Justizministeriums um ein recht systematisches Vorgehen zu handeln, wenn man dem Pressebericht Glauben schenkt. Die 'FR‘ beruft sich in ihrem Bericht auf Aussagen von DDR-Juristen auf einer Diskussionsveranstaltung der Fachgruppe Richter und Staatsanwälte der ÖTV am vergangenen Donnerstag in West -Berlin.

Nach dem neuen Richtergesetz, das am Donnerstag in zweiter Lesung die Volkskammer passiert, soll ein Wahlausschuß nach Aktenlage darüber entscheiden, welche Richter mit einer festen Anstellung rechnen können. Dem neuen Justizstaatssekretär Manfred Walther (CDU) zufolge sollen dabei „auch politische Fragen eine Rolle spielen“. Schwierig, wenn vorher entsprechende Bemerkungen oder auch ganze Urkunden aus den Unterlagen verschwunden sind.

Völlig ungeklärt ist auch, ob die Richter und Staatsanwälte der politischen Justiz zur Verantwortung gezogen werden können. Das Richtergesetz sieht vor, daß die künftigen Richter disziplinarisch nur belangt werden können, wenn ein Fehlverhalten nicht länger als sechs Monate zurückliegt. Auf gut deutsch: Generalamnestie für alles, was sich vor der Wende abspielte.

Nach Auffassung des Ostberliner Justizministeriums spielt es jedoch keine Rolle, ob die Richter Änderungen in ihren Personalakten vorgenommen haben, Die früher gesprochenen Urteile, aus denen sich in erster Linie die weitere Eignung der Richter für ihren Beruf ergebe, seien bekannt. Wenn ein Richter sich belastet habe, werde es ihm wenig nützen, wenn er ein paar Parteiauszeichnungen aus seiner ehemaligen Personalakte entfernt habe.

Der Ministeriumssprecher betonte, nach einer noch von der Modrow-Regierung erlassenen Verordnung, die auf Empfehlung des damaligen Runden Tisches zurückgehe, seien in den Personalunterlagen solche Angaben zu entfernen, „die nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht erhoben werden dürfen“. Die DDR-FDP übte sich derweil in einem lieb gewordenen Ritual: Sie forderte Justizminister Wünsche zum Rücktritt auf. Siehe auch Kommentar Seite 10