„Wer es schafft, macht den Absprung“

■ Die Hochkonjunktur bei Aldi wird auf den Knochen der MitarbeiterInnen bewältigt / Warengutscheine als Belohnung fürs Personal / Die Einkaufsbeschränkungen für polnische KundInnen sind auch in der Belegschaft des Konzerns umstritten

Die abgetragene Uniform sitzt schlecht, doch seiner Autorität tut das keinen Abbruch. Mit einem unfreundlich bestimmten „Du bist noch nicht dran“, schiebt der Mann vom Wachschutz eine polnische Kundin wieder auf die Straße hinaus. Die Frau mit Kind und deutschem Personalausweis darf passieren. „Aber nicht ohne Einkaufswagen“, sagt der Uniformierte mit hörbar sächsischem Einschlag.

Vor den Paletten mit Dosenbier versuchen Leszek und Maria einen Balanceakt. Sieben Kartons mit Schultheiss- und Paderborner-Dosen lassen sich per Einkaufswagen transportieren - mehr paßt beim besten Willen nicht rein. Das sei für ihn, Verwandte und Bekannte zu Hause, sagt er. Man fährt schließlich nicht alle Tage nach West-Berlin. Zwei Stunden sind sie draußen in der Schlange gestanden. An der Kasse gereizte Stimmung - die deutschen Kunden, klar in der Minderheit, beobachten genauestens, was polnische Einkäufer an der Kasse auf das Band packen. „Manchmal mußten wir sie schon verteidigen gegen die Deutschen“, sagt Marion Fehr, Kassiererin in einer Steglitzer Filiale.

Was seit Monaten die Gemüter deutscher Saubermänner, aber auch der Anwohner jeder politischer Couleur erhitzt, hat der Aldi GmbH saftige Profite eingebracht: auf rund 30 Prozent wird die monatliche Umsatzsteigerung der Discountkette geschätzt - den KundInnen aus Warschau, Wroclaw und Posnan sei Dank. Das Personal bekommt diese Hochkonjunktur allerdings in ganz anderer Form zu spüren: auf den Kundenansturm folgten kaum Neueinstellungen. Das Unternehmen, das nach Angaben von Traugott Kittel, Betriebsrat von Aldi-Süd, „auf der untersten Ebene der Personalschiene fährt“, hat kaum mit Neueinstellungen reagiert. Fünf Prozent mehr Personal, schätzt Manfred Müller, Landesvorsitzender der Gewerkschaft für Handel, Banken und Versicherungen (HBV). Die enorme zusätzliche Arbeitsbelastung, so viel steht fest, wurde auf die Teilzeitkräfte abgewälzt, die ohnehin den größten Anteil der Belegschaft ausmachen: 75 Prozent. Sie verrichten jetzt in aller Regel Mehrarbeit. Überstunden können angesichts der Schlangen vor den Filialen nicht abgebummelt, Pausen nicht eingehalten werden. Der Krankenstand ist zwar nur geringfügig angestiegen - das allerdings dürfte weniger an der Robustheit der KassiererInnen, PackerInnen und VerkäuferInnen liegen, als an der Tatsache, daß - so Kittel

-auch Langzeitkranke nicht „unbedingt ersetzt“ werden. Es traue sich doch keiner mehr, wegzubleiben, sagt Marion Fehr. „Wenn du nicht da bist, müssen die anderen mehr arbeiten.“ Der Druck kommt nicht nur durch die Personalpolitik, sondern auch durch die Kunden. Eine Kassiererin, die trotz langer Schlange die Kasse abschließt, um kurz auf die Toilette zu gehen, wird „als blöde Kuh beschimpft - so wie neulich meine Kollegin“. Deutsche Kunden seien das gewesen, betont Marion Fehr. Die PolInnen könnten sie mangels Sprachkenntnissen zumindest nicht beleidigen.

Daß die Stimmung in den Filialen unter den Nullpunkt gesunken ist, hat man in der Geschäftsleitung immerhin registriert. „Wer es schafft“, sagt Kittel, „der macht den Absprung.“ Aldi indes zeigt sich erkenntlich und verteilt Warengutscheine an das Personal - ein Bonus, der bereits nach der Maueröffnung schon einmal gewährt wurde. Der Betriebsrat von Aldi-Süd rät dagegen zu gesünderen Maßnahmen: Wenn es nicht mehr zu schaffen ist, die Arbeit stehenlassen. Dieser Entschluß dürfte den Beschäftigten schwerfallen, denn nach dem 2.7. droht massive Konkurrenz aus der DDR um die Arbeitsplätze. Entsprechende Bewerbungen treffen seit längerer Zeit aus Ost-Berlin und Umgebung ein. Daß die neuen KollegInnen das enorme Arbeitstempo erst einmal nicht mithalten werden können, ist einkalkuliert. Auf seiten der Gewerkschaften hofft man auf heilsamen Einfluß. „Dann überlegen sich die anderen vielleicht auch, ob sie so schnell arbeiten müssen.“

Das Verhältnis zu den Polen sei in der Belegschaft „nicht ganz ungetrübt“, sagt Kittel. Zu Hochzeiten des Polenmarktes sei es in einer anliegenden Filiale auch zu Schlägereien gekommen, nachdem polnische Kunden unwillig auf Anweisungen der KassiererInnen reagiert hatten. Auch die öffentlich umstrittene Maßnahme der Geschäftsleitung, an polnische Kunden nur noch zwei Originalkartons pro Artikel zu verkaufen, stößt bei der Belegschaft auf böses Blut, denn es bedeutet Mehrarbeit, die nicht zu leisten ist. „Ich kontrolliere doch nicht an der Kasse deren Ausweis, um zu sehen, ob das Polen sind. Und wer soll dann in diesem Streß die Kartons zurücktragen?“ Außerdem, sagt Marion Fehr, seien das für sie nicht Menschen zweiter Klasse.

Die Aldi-Zentrale in Essen erklärte übrigens auf Anfrage der taz, am Telefon keine Angaben zu machen. Auch in den beiden Berliner Gesellschaften Aldi-Süd und -Nord sah man sich zu keiner Stellungnahme in der Lage, da sich beide Geschäftsführer in Westdeutschland aufhielten.

Andrea Böhm