Kein Aids im US-Kino

■ Hollywoods Großstudios schrecken vor dem Thema Aids zurück

Rund 80.000 Amerikaner sind bisher Opfer von Aids geworden. Das sind mehr, als US-Soldaten im Vietnam-Krieg gefallen sind. Ein sehr großer Teil der Aids-Opfer gehörte zu der Branche, deren mächtige Vertreter das Thema am liebsten im Safe verschließen und vergessen würden. Hollywoods große Filmstudios, unter deren Mitarbeitern etliche Aids-infiziert sind, meiden Aids als Filmstoff nach wie vor.

Aids-Aktivisten üben harte Kritik an den Studio-Managern. „Da sitzt ein Elefant im Wohnzimmer, und jeder tut so, als würde er ihn nicht sehen“, klagt Randy Shilts, Drehbuchautor einer Dokumentation über die Seuche. Der ehemalige Produzent David Picker wird deutlicher: „Es gibt weder soziale Verantwortung noch Pflichtgefühl in Hollywood.“ Der Dramatiker William Hoffman, Verfasser eines Theaterstücks über Aids, übt die empfindlichste Kritik: „Die Homosexuellen in Hollywood verhalten sich heute genauso wie die Juden in der Filmindustrie während des Holocaust. Damals schreckte man davor zurück, die Verfolgung und Ermordung von Juden in Europa zu erwähnen, weil man nicht 'Jude‘ genannt werden und im Zentrum des Interesses stehen wollte.“

Am Dasein vieler Homosexueller als „Closet Queen“ (etwa: Leute, die sich verkriechen) hat sich auch nach Rock Hudsons Aids-Tod fast nichts geändert. Besonders Schauspieler fürchten das Ende ihrer Karriere, wenn ihre Neigung entdeckt wird. Viele weibliche Stars lehnen Kußszenen und intime Passagen bei Zweifeln über ihre männlichen Partner aus Aids -Furcht von vornherein ab. Aber es ist nicht allein das Zurückschrecken der Schwulen Hollywoods vor dem öffentlichen Bekenntnis, weshalb Aids-Themen auf Fernsehen und Bühne beschränkt bleiben.

Das amerikanische Kinopublikum ist auf Happy-Ends fixiert. Filme, die zu einem großen Teil in Krankenhäusern spielen, würde man vielleicht noch akzeptieren. Schließlich war Love Story kein Mißerfolg. Aber da stimmte die Liebesbeziehung. Die Kombination von tragischem Tod und Männerliebe ist für viele Kinogänger problematisch. Da aber die Filmindustrie auschließlich profitorientiert ist, ging sie bisher kein Risiko ein.

Ein Aids-Film läuft gerade in wenigen kleineren Kinos, hat aber immerhin die Herstellungskosten schon fast eingespielt. Longtime Companion (Langjähriger Gefährte) von Regisseur Norman Rene ist allerdings nicht auf dem üblichen Wege veröffentlicht worden. Zunächst wollten nicht einmal kleine, unabhängige Produktionsunternehmen das Drehbuch haben. Kein bekannter Schauspieler hat eine Rolle übernommen. Schließlich produzierte 'American Playhouse‘ den Film mit wenig bekannten Darstellern und kleinem Budget. Erst nach zweijähriger Suche nach einem Verleiher brachte die Samuel Goldwyn Company Longtime Companion in einige Kinos. Der Film beginnt mit den ersten Aids-Fällen und beschreibt die Auswirkungen auf eine Freundesgruppe in Manhattan, die vom Virus und der Angst davor befallen wird. Während Frauen den Liebesszenen zwischen Männern relativ unbefangen zusehen, fühlen sich heterosexuelle Männer eher abgestoßen. Außerdem, so will es jedenfalls der Produzent beobachtet haben, seien viele Zuschauer selbst Homosexuelle.

Das amerikanische Fernsehen hat Aids schon länger als Thema aufgegriffen. Auch die Serien sparen es nicht aus. Beiträge wie die Rock-Hudson-Story oder Die Geschichte des Ryan White, der durch die Blutübertragung als Kind mit Aids infiziert wurde und vor kurzem gestorben ist, behandeln ausschließlich tragische Aids-Schicksale. Überwiegend greift das Fernsehen das Problem anhand solcher Opfer wie White auf, um dem Thema Homosexualität auszuweichen. Aber die erzieherische und moralische Verantwortung zur Aufklärung der Öffentlichkeit wird gleichwohl akzeptiert und wahrgenommen.

Gabriele Wolffen/dpa