Tod fürs Paßland

Die Blechlawine bedroht den Brenner und sein Umland  ■ E U R O M U F F E L

Europa: der Begriff, den alle beschwören und wohlfeil anbieten - er schafft allmählich nur noch Würgen; zumindest hier in unserem kleinen „Paßland“ südlich des Brenner, jenem Nadelöhr zwischen Nord und Süd, das jeder durchfahren muß, der von Bayern auf kürzestem Weg nach Italien will. Schon jetzt, vor Öffnung der Grenzen, ein total überfahrenes Land, mit Aussicht auf völlige Unbewohnbarkeit, wenn nun auch noch der Osten ans internationale Transportnetz angeschlossen wird.

Wie soll der Dauerstau vom Brennerpaß bis Trient oder Verona vermieden werden, wenn die Experten-Prognosen Wirklichkeit werden - 4.000 Lastwagen sind es heute, die tagtäglich den Brenner hinaufstinken, 10.000 sollen es künftig sein. Dazu die Verdoppelung des Personenverkehrs: Italien, Reiseziel schon jetzt für jährlich 10 Millionen Deutsche und Österreicher, ist Umfragen zufolge auch für die befreiten Osteuropäer das Wunschland.

Vorschläge, wie man dem Desaster des Dauerstaus entkommen könnte, gibt es zuhauf. Eduard Baumgartner, Chef der größten Lkw-Flotte Europas und einer der Organisatoren der Grenzblockade gegen das Nachtfahrverbot, fordert in seiner Brutalomanier die Abschaffung der Eisenbahnstrecke über den Brenner und den Neubau einer zweiten Autobahntrasse - würden wir uns auf die Bahn verlassen, wäre der Güterverkehr längst zusammengebrochen, sagt er (wobei er in diesem Punkt angesichts der haarsträubenden Desorganisation der „Ferrovie die Stato“ so unrecht nicht hat).

Doch die Probleme reichen weiter. Was wird zum Beispiel, wenn das mächtig in die EG strebende Österreich als Beitrittsgeschenk das Nachtfahrverbot für den Schwerverkehr aufheben wird? Schon schwirren Monsterprojekte einer Total -Untertunnelung des Brenner- und des Karwendelmassivs herum, mit der Aussicht für die Autofahrer, mehr als hundert Kilometer durch die unterirdische Röhre zu fahren. Weniger inhuman, aber sicher auch erst in Jahrzehnten zu realisieren das kürzlich vorgestellte Projekt dreier Röhren von Bad Tölz nach Bozen, in denen auf Förderbändern die Güter transportiert werden, so daß überirdisch nur noch der Personenverkehr bleibt.

Das Projekt hat viel für sich; auch die Aussicht, daß beim Aushub um die Hälfte weniger Geröll als beim Autotunnel anfiele. Doch auch so schon werden sich die ausgebuddelten Massen zu einem neuen Gebirgsmassiv anstauen. Dem müßte man dann wohl, analog zur deutschen Zugspitze, den Namen Europaspitze geben.

Hans Mayr

Mayr ist Redakteur der in Bozen erscheinenden italienisch -deutschen Tageszeitung 'Alto Adige‘