Zu den „Sagre“ und „Feste popolari“

Tips von der Pinnwand der taz-KorrespondentInnen  ■  F A H R P L A N

Aus Rom Werner Raith

Der größte Zettel an der Pinnwand des taz -Italienkorrespondenten trägt nur ein Wort: „Thoemmes kommt“. Das magische Datum ist der 24.Juni - von da ab übernimmt die Sportredaktion die WM voll und ganz. Zu Ende geht das Hin- und Herhasten zwischen der Regeltätigkeit Mandela-Besuch beim Papst in Rom, asylsuchende Rumänen in Neapel, Prozeß um den Anschlag auf den Bahnhof Bologna, Verfassungskrise zwischen Präsident und Richterstand - und den diversen Stadien und Fan-Residenzen im Süden, in Neapel, Bari, Palermo und Cagliari. Von nun an sind die Schauplätze im Zentrum des Landes, ich kann mich also empfehlen. Und endlich das machen, was in dieser Zeit unbedingt sein muß die auf den Kalender drängenden Sagre und Feste popolari besuchen, die Erntedank-, Patroziniums- und Erinnerungsfeiern aller Arten. Freilich nicht zum reinen Frönen (der Arzt hat mir den Brot- und Weinkorb an den Gran Sasso, 3.000 Meter, hochgehängt), sondern für Kontakte und zur Aufnahmen neuer Themen - für die taz wichtiger als Gespräche mit Ministern und Beamten. Rom und Umgebung zum Beispiel wandert am Abend vor dem Johannesfest (23.Juni) zu den Lumache die San Giocvanni, einem das ganze Lateranviertel durchziehenden Markt mit anschließendem Schnecken-Essen, das vor allem gegen die Untaten von Hexen schützen soll. In Südlazium treffen sich am 3.Juli an der Grenze der Gemeinden Fondi und Monte San Biagio die Einwohner zur Verehrung einer Statue, die beide Bürgerschaften für sich reklamieren, und die daher zuerst in die eine, dann die andere Richtung gedreht wird, wonach es ein schönes Fest in beiden Städtchen gibt. In Formia gucken sich die Einwohner am ersten Sonntag das sonst verschlossene Heilige Zimmer an, in dem angeblich vor 1.700 Jahren der Heilige Erasmus gefoltert wurde: nach dem Horrorbesuch dann zum Erholen, drei Tage Fest. In Rieti, Nordlazium, Ende Juli die Festa del sole, Ende Juli, mit Kostüm-Prozessionen und Bootskämpfen. Dann erstes August-Wochenende, das große Weinfest in Montefiascone, wo der weltberühmte „Est! Est! Est!“ gekeltert wird: wobei „Est“ überhaupt nichts mit dem Osten zu tun hat, sondern einer Inschrift zu verdanken ist, die der Vorreiter eines Wein-Feinschmeckers überall dort an die Dorfeingänge malte, wo es gute Weine gab: „Est“ bedeutete „hier gibts ihn“, und in Montefiascone schmeckte dem Vorkoster der Saft so gut, daß er es gleich dreimal hinschrieb. Unzählig die Feiern mitte August, Mariä Himmelfahrt: nahezu jeder Ort hat zu „Ferragosto“ seine Märkte, Feiern, Feuerwerke. Denen freilich versuche ich zu entgehen - der Tourismus hat die Tradition zur Folklore degeneriert. Um so schöner, zum Saisonabschluß, ein besonderes Fest: in Viterbo wird am 3.September der 27 Meter lange Wandelnde Turm von Hunderten von Männern im Sauseschritt durch die abschüssigen Gassen der Stadt getragen. Ein einmaliges Spektakel, umgeben von einem herrlichen, blumenreichen und kulinarisch nicht zu verachtenden Volksfest.