„Staatsmacht war an der Einbürgerung beteiligt“

Rolf Henrich, Rechtsanwalt von Rolf Winter, alias Eckerhard Freiherr von Seckendorff-Gudent, ist der Auffassung, daß das frühere RAF-Mitglied von den DDR-Behörden nicht an die Bundesrepublik ausgeliefert werden kann  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Henrich, was macht der Stand des von der Bundesanwaltschaft geforderten Auslieferungsverfahrens?

Rolf Henrich: Ich gehe davon aus, daß der Beschluß des Stadtgerichts in Berlin vorliegt. Es handelt sich dabei schon um das zweitinstanzliche Gericht. Der Beschluß stammt vom 17. Juni 1990. Darin heißt es, mit Beweismitteln, die nun neuerdings vorgelegt wurden - die ich bisher noch nicht zu sehen bekommen habe - ist entgegen der Auffassung des Stadtbezirksgerichtes ein dringender Tatverdacht eines Verbrechens nach Paragraph 126 und Paragraph 128 des DDR -Strafrechts gegeben, das nach Paragraph 80 auch im Gebiet der DDR verfolgt werden kann. Es handelt sich dabei um die Tatbestände Raub und Raub im schweren Fall. Das Stadtgericht geht weiter davon aus, daß ein Bürger der DDR auch dann nach DDR-Strafgesetzen zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn er im Ausland eine nach dem DDR-Gesetz verfolgbare Handlung begeht.

Die derzeitige Ansicht des Stadtgerichtes ist, daß Herr Rolf Winter alias Eckerhard von Seckendorff als Bürger der DDR zu betrachten ist. Es muß auch die Frage der Staatsbürgerschat von Herrn Winter geprüft haben. Das geht daraus hervor, daß der Paragraph 80 zur Anwendung kommen soll. Ansonsten könnte es nicht zu einer solchen rechtlichen Wertung kommen.

Nun hat aber Innenminister Diestel angeführt, daß die DDR -Staatsbürgerschaft unter falschem Vorwand erworben wurde und somit nichtig ist.

Das kann er natürlich sagen. Ich halte das für eine juristisch unbegründete Auffassung. Herr Diestel argumentiert auch nicht juristisch. Sonst müßte er beachten, daß der Kern der Staatsmacht selber an der Einbürgerung beteiligt war, wenn es denn einen Zusammenhang zwischen Herrn Winter und Eckerhard Freiherr von Seckendorff gibt. Der Staat kann sich doch selber nicht als Institution darstellen, die getäuscht wurde, wenn er dies selber mit einem Staatsorgan getätigt hat. Der Staat handelt durch seine Organe - wie denn sonst. Ich halte Diestels Position für eine juristisch völlig untragbare Rechtsauffassung. Augenscheinlich befinde ich mich hier - zumindesten im Moment - in Übereinstimmung mit dem Stadtgericht in Berlin.

Es wurde von Herrn Diestel und einigen bundesdeutschen Politikern weiter angeführt, man könne ja notfalls die Festgenommenen so lange in Untersuchungshaft halten, bis die Eigenständigkeit der DDR passe und dann ein Verfahren nach bundesrepublikanischem Recht möglich ist.

Wenn Herr Diestel dies so gesagt hat, ist das eine für mich äußerst befremdliche Rechtsauffassung. Daß man den Rechtsumgang untereinander nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit behandelt, würde mich sehr befremden. Es liegt doch kein Stillstand der Rechtspflege vor. Ich verstehe diese Servilität nicht. Um noch ein anderes Wort zu sagen. Der 'Süddeutschen Zeitung‘ entnehme ich, daß sich aller Streit um den Artikel 33 Absatz 2 der DDR-Verfassung dreht. Darin steht, daß kein Bürger der DDR einer auswärtigen Macht ausgeliefert werden darf. Selbst wenn man sagt: dann ändern wir eben den Artikel ab, möchte ich darauf hinweisen, daß damit noch gar nichts gewonnen wäre. Auch wenn es manche vielleicht meinen. Sie übersehen, daß die spezialgesetzliche Bestimmung der Strafprozeßordnung der DDR zu entnehmen ist. In Paragraph 15, Absatz 3, heißt es: Kein Bürger der DDR darf wegen Begehung einer Straftat an einen anderen Staat ausgeliefert werden. Das ist eine kleine juristische Feinheit und insoweit wichtig, weil ja alle mit der „auswärtigen Macht“ nicht so richtig zurechtkommen. Daß die Bundesrepublik Deutschland ein anderer Staat als die Deutsche Demokratische Republik ist, scheint mir zunächst ja schon noch festzustehen.

Spielt es dabei eine Rolle, daß die vorgeworfenen Straftaten von den Beschuldigten begangen worden sein sollen, als sie noch Bürger der Bundesrepublik waren?

Wenn das stimmt - und man muß hier auch von der Unschuldsvermutung ausgehen - kann man die heutigen DDR -Bürger natürlich vor einem DDR-Gericht zur Verantwortung ziehen. Kein Mensch streitet darüber, ob irgend jemand straffrei ausgehen soll.

Wie konkret sind die Vorwürfe, die gegen ihren Mandanten erhoben wurden, und wie weit sind Sie darüber auf dem laufenden?

Ich fühle mich als Verteidiger - um es vorsichtig auszudrücken - in meinen Verteidigerrechten stark eingeschränkt. Zunächst war es so, daß ich am Freitag, dem 15.6., gerufen wurde. Da kam in der Nacht um etwa 24.00 Uhr der Haftrichter zu dem Beschluß: „In der Sachakte befinden sich keine Beweismittel, woraus ersichtlich ist, daß es sich tatsächlich um den Eckerhard Freiherr von Seckendorff-Gudent handelt.“ Der Antrag auf einen Haftbefehl ist entsprechend abgelehnt worden.

Nun soll es, und das muß ich dem Bericht des Stadtgerichtes entnehmen, Beweismittel aus der Bundesrepublik geben. Deshalb bin ich am Dienstag pflichtschuldig wiederum zum Stadtgericht Berlin und zum Generalstaatsanwalt gegangen, um einen Blick in die Unterlagen zu werfen. Dazu hatte ich aber wiederum keine Gelegenheit. Wie ich eingangs erwähnte: Bisher habe ich noch keine Beweismittel zu sehen bekommen.

Interview: Wolfgang Gast