Kein Heimspiel nur für die Deutschen

Außenminister Markus Meckel befindet sich auf einer Goodwillmission quer durch Europa / Der Britische Löwe läßt das Knurren und zeigt sich kooperativ / Harmonie dominierte das Arbeitstreffen in London / Frühe gesamtdeutsche Wahlen ungünstig für deutsche Einigung  ■  Aus London Andre Beck

Außenminister Markus Meckel ist auf Goodwilltour durch Europa und wünscht sich Zeit, die ihm davonläuft. Obwohl er sich eine einzigartige Konstellation zunutze machen und erstmals in der Geschichte der DDR eigenständig Außenpolitik betreiben kann, ist er und seine Regierung entschlossen, diesem Zustand ein schnelles Ende zu bereiten. Trotzdem. Chancen sieht Markus Meckel noch, um in der ihm verbleibenden Amtszeit so zu agieren. Obwohl Meckel es nicht will, ist zu befürchten, daß sich der pangermanische Einigungsprozeß wie ein Heimspiel der Deutschen entwickelt, die alleine ins Finale einziehen, zu dem Europa und die Welt nur als Zaungäste geladen sind.

Es gibt keine „Insel“ mehr in Europa, die Gräben zwischen Ost und West sind zwar noch sichtbar, aber die Großwetterlage steht auf Entspannung und Aufeinanderzugehen. Markus Meckel flog nach London, um sich mit seinem Amtskollegen Mr. Douglas Hurd und dem Minister für Handel und Industrie, Mr. Nicholas Ridley, zu verständigen. Wichtigste Themen: Sicherheit, Wirtschaft und die deutsche Einheit.

Bei diesem Besuch wurde erneut offenkundig, wie weit der europäische Einigungsprozeß vorangeschritten ist und welche Hürden noch zu nehmen sind, ehe die Intention eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems Wirklichkeit werden kann.

Als die Sprache in Gegenwart seines britischen Amtskollegen Douglas Hurd auf die Zwei-plus-vier-Gespräche und die deutsche Einigung kam, drückte Markus Meckel die Hoffnung aus, die Nato möge eine „deutliche Strategieänderungen“ vollführen. Insbesondere die Nach-Vorne-Verteidigung und das flexible Reagieren liegt nicht nur der DDR schwer im Magen. Diese Sicherheitsdoktrin hat jedoch - besonders für die Briten - eine innere Logik. Sie ist aber nach Auffassung Meckels widersprüchlich und in der gegenwärtigen Situation problematisch. Gegen wen sollen beispielsweise britische, französische, amerikanische - aber auch sowjetische atomare Waffen gerichtet sein? Ob jedoch Großbritannien auf die Grundfesten seines Verteidigungsgebäude und das der Nato so ohne weiteres verzichten wird, hängt in erster Linie von den Verhandlungsergebnissen der beiden Militärblöcke in Wien und Genf ab.

Ähnliche Bedenken, was das östliche Verteidigungsbündnis betrifft, wurden verschiedentlich geäußert: Journalisten, Politiker, Pressevertreter von BBC, 'The Guardian‘, 'Financial Times‘: Sie erkundigten sich beim Minister nach dem zukünftigen Schicksal der sowjetischen Truppen auf dem Territorium der heutigen DDR und das des Warschauer Vertrages.

In der Tat vollzieht sich die Umwandlung des östlichen Militärbündnisses in eine politische Organisation alles andere als konfliktfrei, insbesondere was Methoden, Wege und vor allem Zeiträume betrifft.

So werden die Entscheidungsmöglichkeiten und Spielräume zum Agieren für die Sowjetunion um so enger, je näher ein endgültiges Datum der deutschen Einheit rückt. Wenn mit Wahlen im Dezember oder Januar kommenden Jahres Ernst gemacht wird, gerät diese in Zugzwang. Keiner kann dann genau absehen, wie Moskau entscheidet. Obwohl nach Ansicht von Markus Meckel die Sowjetunion auf den Tisch der Zwei -plus-vier-Verhandlungen nicht mit der Faust schlagen wird und das befürchtete „Njet“ zur deutschen Einheit spricht, ist es sinnvoll, sowjetische Interessen ernst zu nehmen. In dieser Hinsicht hat Meckel persönliche Bedenken gegen einen frühen Wahltermin, das so gebildete künftige Deutschland könnte unter Umständen gleichzeitig zwei Militärblöcken angehören - eine absurde Situation. Das wäre „nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa“ unvorteilhaft. Vielleicht hat er hier den Nerv der Briten getroffen. Gleichzeitig lebt Markus Meckel mit dieser Möglichkeit und akzeptiert die Realitäten. Wenn die Entscheidung zu frühen gesamtdeutsche Wahlen fällt, zu der es weder zwischen Bonn und Berlin noch innerhalb der Regierung einen Konsens gibt, so der Minister, werde er und seine Partei sich diesen Wahlen stellen. Dieser Termin rückt augenscheinlich immer näher, ein weiteres Argument für Meckel, seine außenpolitischen Intentionen in verstärkte Aktionen umzuwandeln, um den Lauf der Dinge zu beeinflussen.

Um einen Imperativ zum Verzicht auf Gewalt zu erreichen, schlug Meckel vor, daß sich die 23 Mitgliedstaaten von Nato und Warschauer Vertrag „entfeinden“, praktisch definitiv auf die Existenz von Feindbildern verzichten.

Douglas Hurd zeigte Verständnis und ging auf das Sicherheitsbedürfnis der Osteuropäer ein. Hurd stellte eine drastische Reduzierung der britischen Rheinaree in Aussicht.

Die Logik einer gemeinsamen Sicherheit schließt nach Auffassung Meckels eine politische, militärische sowie wirtschaftliche Einbindung der osteuropäischen Länder und insbesondere der Sowjetunion in diese ein. Für manche Länder, die bisher die engsten Partner für die DDR waren, bringt die deutsche Einigung nicht nur hinsichtlich Wirtschaft Schwierigkeiten.

Die von Meckel in die DDR eingeladenen Wirtschaftsleute reagierten jedoch in der Mehrzahl - dem britischen Klischee folgend - unterkühlt. Nicht von ungefähr, die DDR-Wirtschaft bietet keine großen Sprünge, schon gar nicht über den Kanal. Das Interesse, auf den Kontinent zu gehen und im östlichen Teil Deutschlands Kapital anzulegen, ist vergleichsweise unerheblich. Jedenfalls ist das Kommen der Briten erwünscht, so Meckel. Hier ist vielleicht ein Ansatz einer Kooperation zu erkennen.