Daß die Funken fliegen

■ „Antonius und Cleopatra“ / Ein Probenbericht aus der Shakespearecompany

Ein Mensch, wahrscheinlich Ämilius Lepidus, hat seinen Freund Marc Anton verraten. Jetzt steht er barfüßig und allein auf der weiten, leeren Bühne des Theaters am Leibnizplatz und windet sich in Scham und Verzweiflung. „Ich bin der einzige Schurke auf der Welt.“ Norbert Kentrup, bei dieser öffentlichen Probe in den ersten Zuschauerreihen stehend, gefällt die stetig gesteigerte Pein nicht. Er unterbricht, läßt wiederholen, einmal, zweimal, dreimal. Es wirkt wiederholt noch markierter als ohnehin schon. Das Publikum kichert unziemlich. Kentrup versucht, den Spieler dazu zu bringen, mit statt vor dem Publikum zu spielen. „Kannst Du nicht abwarten, ob jemand sagt: 'So schlimm isses ja garnicht? '“ - „Ich verstehe Dich nicht,“ sagt der Spieler irgendwann, der noch nicht lange bei der bremer shakespeare company ist. Statt dramatischer Steigerung zwischendurch „Schultern hängen lassen, entspannen, weg!“, wie der Regisseur beharrlich vorschlägt, das will er nicht.

Es ist öffentliche Probe, eine alte Erfindung der company, das Publikum kann das Stück entstehen sehen, die Spieler können sich im Ernst- und Spaßfall te

sten. Heute gibt es Spannungen bei der Arbeit. Die stellt man nicht heraus, aber, wagt man sich an solche öffentliche Proben, sind sie nicht zu verstecken.

„Kannst Du so spielen, als ob Du eine Stimme gehört hättest? “ Das ist Pit Holzwarth, der sich die Regie mit Norbert Kentrup teilt. Das versteht und kann der Spieler sofort, das sieht man.

Wie Shakespeares Urgestein Kentrup fängt auch der nachwachsende Regisseur Holzwarth jede Intervention mit „Kannst Du...?“ an. Es sind Vorschläge, oft sehr hartnäckig wiederholt, aber die Frageform wahrt eisern die Tatsache, daß die letzte Entscheidung bei Spielerin oder Spieler liegt.

Zwei Regisseure, beide selbstbewußt, oft unabgesprochen in ihren Vorschlägen und durchaus nicht einig, kann das gutgehen? Vielleicht nicht, aber die company probiert es, wie alles andere, aus. Reibungen hat es in der company immer gegeben. Bisher hat sie daraus die Funken geschlagen, die bei den Inszenierungen von der Bühne stoben.

Antonius und Cleopatra, selten gespielt und fast nie mit Erfolg, sei ein Lesedrama, sagt Norbert Kentrup. „Es wird immer nur ge

redet, was aber gespielt wird, müssen wir uns selber ausdenken.“ Das Stück, das ursprünglich noch in dieser Spielzeit herauskommen sollte, kommt nun in der nächsten. Ein Grund dafür waren Krankheitsfälle im Ensemble, erklärt er zur Beginn der Probe, die ursprünglich Voraufführung sein sollte.

Also die Chance, nochmal genüßlich mitzuerleben, wie der Lärm der großen Schlacht zusammengesetzt wird, (nach erfolgtem Inferno mit Trommeln und Pfeifen findet Eros-Kai mit der marzipanösen Pobacke: „Grausam, das ist ja wie Karneval“). Steigt Cleo-Papula besser mit langem oder kurzem Rock auf den Panzer? Und wie unglaublich grinst dieser Renato Antonius Grüning, wenn der Eros-Kai mit der marzipanösen Pobacke ihm vorschlägt: „Kannst Du nicht 'n Moment das Rohr (aus dem der Panzer feuert und das Eros gerade nicht halten kann) umfassen, wenn Cleopatra kommt? “

Nur wenn soviel Schöpferkraft auch diejenige des Herrn aus der letzten Publikumsreihe erregt - „Sie (Cleopatra) muß es im Laufen machen!“ - wird es Kentrup - „Momäääntmal!“ denn doch zu kreativ, und er bittet die poten

tiellen 200 zusätzlichen RegisseurInnen, ihre Einfälle für das Gespräch im Foyer aufzubewahren.

Uta Stolle