Von der Bremer Pferde- zur Straßenbahn

■ Vor 100 Jahren war Bremen Spitze

Am 22. Juni 1890 fiel in Bremen der Startschuß für eine richtungsweisende Entwicklung in Europa: An diesem Tag ging im Rahmen der Nordwestdeutschen Gewerbe-und Industrieausstellung die erste elektrische Straßenbahn auf Linie, die bereits über das moderne Prinzip des Stromabnehmersystem der heutigen Straßenbahnen verfügte. Dabei fließt ein Teil des Stroms über den per Federmechanismus gegen die Oberleitung gedrückten Rollenstromabnehmer zum Fahrschalter, mit dem die Geschwindigkeit und - über den Stromumkehrhebel - die Vorwärts- und Rückwärtsfahrt geregelt wird.

Diese Premiere wurde von der 1876 gegründeten Bremer Pferdebahn AG, die die Große Bremer Pferdebahn als Konkurrenz aus dem Felde schlagen wollte, und der Bostoner Elektrizitätsgesellschaft Thomson-Houston International Electric Company inszeniert. Diese und auch die späteren Fahrzeuge wurden von der Bremer Pferdebahn gebaut und mit der amerikanischen Antriebstechnik ausgerüstet. Äußerlich glichen die ersten „Elektrischen“ allerdings noch den alten Pferdebahnen.

Schon am ersten Tag wurden auf der nur 1,6 Kilometer langen Strecke 2.500 Menschen befördert. Bis zum Ende der Industrie -und Gewerbeaustellung zählte die „Elektrische“ 566.598 Fahrgäste und noch während der Ausstellung beschlossen Vorstand und Aufsichtsrat der Bremer Pferdebahnen AG, auf ihrem ganzen Netz den elektrischen Betrieb einzuführen. 1891 änderte das Unternehmen seinen Namen in Bremer Straßenbahn AG und begann mit den Elektrifizierungsarbeiten. Der Pferdebetrieb - zuletzt nur noch im Hafengebiet - wurde 1909 gänzlich eingestellt.

Ein Jahr nach der revolutionären Vorstellung in Bremen übernahm Halle an der Saale das aus Amerika importierte Antriebssystem. Wenn auch in Lichterfelde bei Berlin bereits 1881 die erste elektrische Straßenbahn der Welt, gebaut von Siemens, in Betrieb genommen wurde, gebührt doch Bremen die Vorreiterrolle. Denn bei der Siemens-Version wurde der Strom durch die beiden Fahrschienen zugeführt. Durchgesetzt aber hat sich nach und nach das System der Bremer „Elektrischen“.

Das Schicksal der Berliner Straßenbahn - der einschließlich der „Pferdezeit“ ältesten Deutschlands - dürfte der Bremer wohl erspart bleiben. Denn während in Westberlin 1967 die letzte Straßenbahn rollte, denken die Verantwortlichen an der Weser an den Ausbau des Netzes und an die Wiederaufnahme stillgelegter Strecken. Das Jubiläum soll mit einem zweitägigen Fest begangen werden.

Claudia Reinhard/dpa