„Mein Mann, der war damals dagegen“

■ Eine der ersten Bremerinnen, die sich in den sechziger Jahren an die Kurbel einer Straßenbahn setzte, erzählt von der „Frauen-Fahrerei“

Die Fahrerin, die der Pressesprecher hergebeten hat, hat kurzgeschnittenes graues Haar. Ihre Straßenbahn-Uniform sitzt akkurat. Das grüne Hals-Tuch leuchtet als Blickfang. „Die Reporterin“, da bleibt die Fahrerin ganz fest, muß vor dem Interview auf drei Bedingungen eingehen: Keine Fotos, kein Name und keine Tonbandaufnahmen. Denn, das betont sie immer wieder: „Ich bin nie vorneweg gelaufen. Ich bin immer zwei Schritte hinterher gegangen.“ Niemand ihrer Kollegen solle denken, sie hätte sich in die Zeitung gedrängelt.

Der Grund, warum sie aber doch in die Zeitung kommen soll: Sie war eine der ersten Frauen,

die in den sechziger Jahren, von der „Schaffnerei“ auf die „Fahrerei“ umgeschult haben, und sie ist eine der wenigen aus dieser Generation, die noch heute an der Kurbel sitzen. Fast ihr halbes Leben ist sie bei der Straßenbahn. Mit knapp dreißig hat sie angefangen, am 30.1.1960. Aber ganz „vorneweg“ ist sie auch schon damals nicht „gelaufen“. Sie hat nicht zu den fünf allerersten Fahrerinnen Bremens gehört, sondern erst zu den zehn oder zwölfen, die sich zwei Jahre später „auf den Bock“ setzten.

Ihre Eltern hatten Landwirtschaft. Mit 14 hat sie voll mitgearbeitet: „Eine Straßenbahn hab‘ ich kaum gesehen.“ Als sie 1959 nach Bremen kam, fuhr sie dann mit der Straßenbahn zur Arbeit, zu den Lloyd-Motoren-Werken. Liebe auf den ersten Blick war es aber nicht. Daß sie schließlich bei der Straßenbahn landete, kam „durchs Arbeitsamt“. Denn sie mußte stempeln gehen und hatte

bereits zwei Stellen abgelehnt. Als ihr die dritte angeboten wurde, hatte sie keine Wahl mehr, sie mußte annehmen: Schaffnerin bei der Straßenbahn, ab Bahnhof Woltmershausen, Linie 7. Am Anfang war sie nicht gerade hellauf begeistert, denn der Verdienst im „Kurzdienst“ lag sogar noch unter dem Stempelgeld. Aber, so die Fahrerin: „Ich mußte verdienen, um überhaupt zu was zu kommen.“ Sie hat es bis heute nicht bereut: „Ich hab's gerne gemacht. Ich bin nie unlustig hingegangen.“

Der Bahnhof Woltmershausen lag nur zwölf Minuten Gehweg von ihrer Wohnung weg: „Ich hab‘ das als sehr gut empfunden. Das war ideal“. Denn im „Kurzdienst“, wie damals die Teilzeitarbeit hieß, konnte sie „alles vereinbaren“, Haushalt, Kind und Arbeit.

1960, da fuhr die Straßenbahn noch mit im Einstiegsbereich „offenen Wagen“. Während der

Spitzenzeiten waren die Triebwagen „doppelt behängt“. Für jeden Wagen war eine SchaffnerIn zuständig. Wenn's losgehen konnte, klingelten sie Wagen für Wagen „ab“. Sie mußten aufpassen, wenn jemand im Anfahren auf den „offenen Wagen“ sprang. Das war lebensgefährlich. Sie mußten die Karten abstempeln und waren „voll verantwortlich für die Schwarzfahrer“. An der Endstation mußten sie bei Wind und Wetter die Wagen von Hand umsetzen und neu ankoppeln.

Mitte der sechziger Jahre stellte die Straßenbahn um auf den „Ein-Mann-Betrieb“. Nach und nach wurden die SchaffnerInnen durch Entwerter ersetzt. Die Frauen stellte die Geschäftsführung vor die drei Alternativen: Sie konnten in die Werkstatt, in den Putzdienst oder in die Fahrerei wechseln.

1965 war den ersten fünf Frauen das Fahren angeboten worden. Auch die Fahrerin, die

„nie vorneweg gelaufen ist“, spürte „einen gewissen Reiz“. Doch ihr Mann war strikt dagegen. Sie würde nur Ärger bekommen und sich zusätzliche Verantwortung aufhalsen.

Zwei Jahre später dann, als die Geschäftsleitung sie vor die drei Alternativen stellte, da entschied sie sich dann für die Fahrerei. „Kündigen konnte ich ja immer noch. Und ich bin ganz gut zurechtgekommen.“ Natürlich, es gab ein paar alte Fahrer die hatten Angst vor der Konkurrenz und entmutigten die Frauen. Aber es gab auch Männer, die ihnen Mut gemacht haben. Die Bezahlung war und ist die gleiche, egal, ob Fahrer oder Fahrerin.

Geärgert hat sie sich jedoch über den „Idiotentest“. Jahrelang hatten die Fahrerinnen Reaktions- und Geschicklichkeitstests mitmachen müssen. „Ob das jeder männliche Kollege geschafft hätte?“, hätten sich die Frauen damals bitter gefragt.

Die Fahrgäste jedenfalls gewöhnten sich schnell an die Frauen auf dem Fahrersitz. Bis heute kämen von den Fahrgästen mehr positive als negative Reaktionen. Sie bekäme schon mal öfter zu hören, weil sie „sauber“ fahre: „Da merkt man doch, daß eine Frau fährt.“ Aber wie das von den Fahrgästen genau gemeint sei, wisse sie nicht. Vielleicht hätten diese Fahrgäste beim Einsteigen zunächst Angst vor der „Frau am Steuer“ gehabt?

Heute fährt sie auf den Linien 5, 6 und 1 und sagt: „Ich würde nicht wieder zurücktauschen zum Schaffnern.“ Aber im Oktober, mit 60, will sie aufhören. Und will endlich im Fahrradclub, im Wanderverein mitmachen. Denn regelmäßige Termine einzuhalten - das war in den 30 Jahren Wechselschicht nicht drin. Aber dann sagt sie: „Drüber nachdenken darf ich nicht, daß ich nicht mehr Straßenbahn fahren kann.“

Barbara Debus