„Ungewöhnliche Zeiten“ mit gewöhnlichen Politikern

■ Wie Berlins 20+20-Ausschuß debattiert

Berlin. Alle reden von der Einheit - wir auch. Dieses Motto haben sich die Mitglieder eines Gremiums auf die Fahnen geschrieben, das sich die Einheit zum Programm gemacht hat: Mehrere Stunden lang tagte gestern im Roten Rathaus zum zweiten Mal der Gesamtberliner parlamentarische Ausschuß, der die Einheit Berlins vorbereiten soll. Mit diesem Ausschuß, der mit je zwanzig Abge- und Verordneten aus Ost und West bestückt ist, will auch das Parlament seinen Einfluß im Einigungsprozeß geltend machen. Doch schon die Vorgeschichte zeigt, daß die deutsch-deutsche Einigung auch in Berlin nicht die Stunde des Parlamentarismus ist. Im Mittelpunkt der gestrigen Beratungen standen nun keineswegs hohe Verfassungsfragen, sondern wieder einmal das Problem des Beamtentransfers. Die Chefs von Senats- und Magistratskanzlei, Schröder und Thömmes, berichteten über den aktuellen Stand des Beamtenbeschäftigungsprogramms, das seit Wochen die Gemüter erregt. Das Ganze sei ein psychologisches Problem, so die Einschätzung von Thömmes. „Ungewöhnliche Zeiten verlangen ungewöhnliche Maßnahmen“, weiß der SPD-Fraktionsvorsitzende West, Staffelt - in diesem Gremium sind sie aber gewiß nicht zu erwarten. Die Mehrheitsparteien CDU und SPD plänkeln hin und her - welcher bekannte deutsche Kaiser nannte doch gleich das Parlament eine Schwatzbude? Die Diskussion liegt fest in westlicher Hand, nach geschlagenen zweieinhalb Stunden darf zum ersten Mal ein Vertreter der Ost-CDU etwas sagen. Worum es hier geht, wird schnell deutlich: Die Westberliner Verwaltung soll spiegelbildlich auf Ost-Berlin übertragen werden, die Berliner Verfassung von 1948 soll für die ganze Stadt gelten. Die CDU-/SPD-Mehrheit lehnt eine Verfassunggebende Versammlung strikt ab, und der Staatsrechtsexperte der West -CDU, Finkelnburg, läßt keine Illusionen über die Einarbeitung von Ostberliner Vorschlägen aufkommen: „Was Sie hier vortragen, ist ein interessantes Opus“, so sein Urteil zum Bericht der Arbeitsgruppe Verfassung, aber die wenigen demokratischen Errungenschaften der DDR wie der §218 oder das kommunale Ausländerwahlrecht haben auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung keinen Platz. Sollen sich die Ostler ruhig eine Übergangsverfassung geben, nach Gesamtberliner Wahlen landet auch die auf dem Müllhaufen der Geschichte. Der Begriff modern, der von seiten der AL als Prüfkriterium vorgeschlagen wird, hat in der Staatsvorstellung der Konservativen keinen Platz. Im Bewußtsein, daß „moderne“ Vorstellungen keine Zweidrittelmehrheit erhalten werden, können die Vorschläge der Oppositionsbewegungen abgetan werden. Die Vertreterinnen des Neuen Forums, Köppe und Bohley, sind erst gar nicht erschienen, und die PDS schweigt - um zu zeigen, daß sie lernfähig sei, so ihr Vorsitzender Adolphi zur taz.

Kordula Doerfler