Kriminologisches Stilleben

■ Claude Chabrols „Schrei der Eule“, ZDF, 22.55 Uhr

Mit dem Voyeur Robert (Christophe Malavoy) spannen wir ins Wohnzimmerfenster von Juliette (Mathilda May), die als Frau eines Arzneimittelvertreters in einem französischen Waldhaus ein ebenso ansehnliches wie langweiliges Dasein fristet. Fasziniert von ihrer puppenhaften Gleichgültigkeit schleicht Robert Abend für Abend um Juliettes Haus. Wenn ihr Mann Patrick (Jaques Penot) von einem langen Arbeitstag nach Hause kommt, um sich vor der Glotze zu entspannen, verspannt sich draußen Robert der Glotzer hinter seinem Gebüsch, während Juliettes Blicke träumerisch suchend aus dem Fenster gleiten. Chabrol treibt die Konstellation der Blicke bis ins Parodistische. So ist Juliette aus der Perspektive des Voyeurs Robert von den hell erleuchteten Fenstern ebenso eingerahmt wie ein Fernsehbild. Juliette ist geradezu ein Produkt von Roberts Leidenschaft, einer rein skopischen Leidenschaft.

Als Robert sich schließlich zu erkennen gibt, lernt er Juliette als eine traumhaft abwesende (Roman-) Figur kennen, die einer lyrischen Todessehnsucht fröhnt. Es scheint, als wollte Krimiroutinier Chabrol den Zugriff des Mediums Film auf den Roman (von Patrcia Highsmith) auf der filmischen Ebene als das Eindringen des Voyeurs Robert in seine Traumwelt noch einmal darstellen. Das Eindringen bildet jedenfalls nach spannungsvoller Spannerphase den Ausgangspunkt für die Schlag auf Schlag folgenden Ereignisse.

Scheinbar grundlos wird Robert nach einem harmlosen Besuch bei Juliette von Patrick angefallen. Es kommt zu einer Schlägerei im Stil der Karl-May-Festspiele zu Bad Segeberg, wonach Patrick spurlos verschwindet. Der stilistisch zum Klischee des Klischees überhöhte Kommissar (Jean-Piere Kalfon) ist von Roberts Schuld überzeugt. Von einem Freund bekommt Robert jedoch den Tip, daß Patrick bei seiner vor einem Jahr verlassenen Ex-Frau Veronique (Virginie Thevenet) untergetaucht ist, die sich als rachsüchtige Ränkeschmiedin erweist. Als schließlich die umnachtete Juliette träumerisch zur Pistole greift, um ihrem Leben nach romantischem Vorbild ein Ende zu setzen, überstürzen sich die Ereignisse.

Chabrol hat die von Amerika nach Vichy übertragenen Highsmith-Motive eines gradlinig-spannenden Psychothrillers als hintersinnig-hinterlistige Parodie inszeniert. Die trotz aller Genauigkeit der Beobachtung oberflächlich gehaltene Kriminalhandlung wirkt so zerbrechlich, als wäre sie in einer Glasvitrine angesiedelt. Obwohl die Charaktere präzise gezeichnet sind, wirkt ihr Spiel mitunter so fremdartig, als agierten die Darsteller gleichzeitig noch in einem andern Film. Nicht erst in der grandiosen Schlußszene verrät Chabrol seine wahre Absicht, Handlung und Personen zu einem kriminologischen Stilleben einzufrieren, in dem die drei zurückbleibenden Leichen sich träge zu einer Skulptur vereinen.

Manfred Riepe