Wo kriege ich Hooligan-Schlägereien her?

■ Internationale Medien sitzen Italiens Falschberichtern auf / Ein Lehrstück über korrekte Berichterstattung

Die Meldungen vergangenen Sonntag klangen, kein Zweifel, wie Kriegsberichte: „Guerilla in Cagliari“, machten 'la Republica‘ und der 'Corriere della sera‘ vergangenen Sonntag gleichlautend auf: „Stunden der Stadtguerilla in Cagliari“ titelte 'il manifesto‘. An die dreißig Schwerverletzte, mehrere Dutzend Festgenommene, Agenturfotos bewiesen die Bürgerkriegslage: Heimbewehrte Carabinieri, die traurig dasitzende Hooligans umzingelt hielten, das Fernsehen zeigte davonhetzende Bürger und nachsetzende Truppen mit Schlagstöcken; „schlimmer noch als befürchtet“ habe der Fan -Mob oder, nach anderer Lesart, polizeiliche Knüppelei gewütet, reihenweise seien Autos umgeworfen, Fensterscheiben eingeschmissen worden.

Am Montag stand's dann - sonntags erscheinen ja im Ausland meist keine Zeitungen - auch in der Weltpresse so, mitunter angereichert noch durch weitere blutigste Details. Zu diesem Zeitpunkt allerdings hatte die italienische Presse bereits begonnen, ihre Frontberichterstatter mal genauer zu befragen und die Dinge zurechtzurücken.

Da verwandelten sich dann die am Vortag von den Korrespondenten selbst berichteten Greueltaten in - deutlich in Anführungsstrichlein gesetzte - Zitate englischer Hooligans, verminderten sich die „stundenlangen Auseinandersetzungen“ auf gerade eine halbe Stunde (in der tatsächlich Steine geflogen, Tränengasgranaten abgeschossen worden waren, der taz-Reporter hat selbst eine davon unter die Füße gekriegt): die dreißig Verletzten schmolzen auf acht, allesamt nach kurzer Behandlung wieder entlassen, festgenommen waren auch nur sechs worden - zwei davon noch dazu in flagranti ertappte Diebe, einer, ein Österreicher, wegen Besitzes einer Pistole. Das Amtsgericht Cagliari registrierte nicht eine einzige Anzeige wegen kaputter Fenster oder umgeworfener Autos (obwohl es dafür Schadenersatz gäbe), Fotoreporter, die unbedingt beschädigte Pkws aufnehmen wollten oder sollten, gingen leer aus, und als der taz-Korrespondent für die Zeitung zusätzlich zu den beiden durch die Presse gegangenen Fotos weitere Bilder anforderte, um das Ausmaß der „Umzingelung“ zu zeigen (es sind immer nur drei oder vier Polizisten zu sehen), gab es nur bedauerndes Schulterzucken: „Die Bildunterschriften, die stammen ja auch nicht von uns.“ Auch die Fernsehbilder von den hinter Hooligans herrennenden Polizisten ließen sich nicht verlängern - „es wäre nach der nächsten Ecke einfach aus, da haben sich die wieder beruhigt“, sagte ein Kameramann, offenbar einer der wenigen Ehrlichkeitsfanatiker der Zunft. Doch die zwanzig Sekunden Gerenne haben den Eindruck „Südafrikanischer Zustände“ ein für allemal festgeklopft.

Die Bilanz, so jedenfalls 'l'Unita‘ am Montag, sei „geringer als bei normalen Spielen der Meisterschaftsrunde“ ausgefallen; der staatliche Rundfunk RAI, 'la Republica‘ und der 'Corriere della sera‘ meldeten verschämt, daß „im Gegensatz zum ersten Eindruck die Auseinandersetzungen nicht sonderlich stark“ gewesen seien. Nur: diesen ersten Eindruck hatten ausgerechnet diese Medien selbst mit ihren Sensationstiteln an der Wahrheit vorbei fabriziert.

Das internationale Echo, die Reproduktion der Falschmeldungen zeigt wieder einmal, was herauskommt, wenn man sich vor allem auf die Berichte der italienischen Medien verläßt, ohne sich gründlich mit ihnen auszukennen (bezeichnenderweise stammen im Ausland nahezu alle stark verfälschenden Berichte von Sonderkorrespondenten und nicht von den ständig im Land lebenden): Italiens Journale, auch die sogenannten „seriösen“, leben stark von der sensationellen Aufmachung ihrer Titelseiten und Artikelüberschriften, und die Wahrheit kommt dabei meist sehr viel zu kurz.

Untersuchungen, die nicht nur die Zahl der offiziellen Meldungs-Rücknahmen, sondern auch die versteckten Korrekturen berücksichtigen, haben gerade den Meinungsführern eine geradezu beängstigende Zahl von Fehlern nachgewiesen - mitunter ein Dutzend pro Tag. Italiens Tageszeitungen können sich das offenbar leisten uneingeschränkt Glauben in allen Sparten schenkt der Tages -Journaille, nach Umfragen von Panorama, sowieso nicht einmal ein Drittel selbst der treuesten Leser im Lande.

Vermischt sich diese Tendenz zu vorschnellen Einschätzungen mit den in der oft von keiner Sachkenntnis betrübten Vorberichterstattung aufgebauten Vorurteilen, kommt wie von selbst der Unfug heraus, den man in vielen Artikeln dieser Tage lesen kann. Die Projektion der meist von Zuhause mitgebrachten Vorurteile - hier gegen Hooligans, dort gegen die Polizei - läßt offenbar die Neigung, Augen und Ohren offenzuhalten, auf ein Minimum schmelzen. Die englischen Fans z.B. konnten es den Presseleuten überhaupt nie recht machen - waren sie ruhig, hagelte es anzügliche Fragen, warum man sich denn vor denen fürchte, hauten sie zu, hieß es, gelle, wir haben das doch gleich gesagt. Dasselbe mit der Polizei - bleibt sie im Hintergrund, hat sie es an Maßnahmen fehlen lassen, schreitet sie ein, ist sie eben reine Repressionsmacht. In der 'Süddeutschen‘ bemerkt der Reporter, daß es „während und nach dem Spiel erstaunlicherweise ruhig blieb: die allgegenwärtige Präsenz der Staatsmacht verhinderte weitere Ausschreitungen“. Das aber ist auch wieder nicht recht: „Doch gerade dies weckte Erinnerungen an bürgerkriegsähnliche Zustände wie im Libanon.“

Die - vor allem von den bundesdeutschen Medien - erhobene Kritik, man habe es an adäquater Vorbereitung der Polizei fehlen lassen, belegt vor allem eines: die deutsche Art, alles nach Elle zu messen. Sicher - es wäre nicht schlecht, statt des Schlagstocks Sozialarbeiter einzusetzen, aber das sind von allen Fans der Welt fast nur die Deutschen gewohnt, die Hooligans zum Beispiel finden das eine „geradezu lächerliche Schwächlichkeit des Staates wie der Fans“ und würden sich „darauf nie einlassen“. Brasilianer wiederum kann man unbesorgt auch völlig ausgelassen feiern lassen, Kolumbianer sollen dem Vernehmen nach wieder eher zur Gewalt neigen. Wie soll ein biederer Ordnungshüter da wissen, meist noch dazu sprachunkundig, mit welchem Mittel er eingreifen soll?

Mitunter dämmert es allerdings auch ausländischen Reportern, daß die Dinge so einfach nicht liegen und da ihre eigene Vorbereitung eben viel zu kurz und zu oberflächlich war. Die Konsequenz wäre entweder umfangreiche eigene Recherche - da fehlt aber die Zeit -, oder den Auftrag zurückzugeben, was auch nicht geht. So fallen viele Berichterstatter nun in einen zweiten, ebenso schlimmen Fehler: fortan suchen sie ihre Stücke auf Artikel in der Inlandspresse zu stützen; und da greifen sie zwangsweise, ihr Urteils- (und oft auch Fremdsprach-) vermögen ist ja damit auch nicht größer geworden, zwangsweise bevorzugt zu solchen, die ihren Präjudizien am nächsten sind und die nun als vermeintliche „Beweise“ zitiert, kaum jedoch auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden.

Wer einigermaßen Routine im Umgang mit der italienischen Schreiberzunft hat, weiß freilich, daß er, bevor er eine Sensations-Meldung - selbst eine durch Fernsehaufnahmen ausgewiesene - übernimmt, lieber drei als zwei Gegenrecherchen machen sollte; oft reicht allerdings auch ein Anruf beim Autor des Artikels, um zu erkennen, daß da wieder mal kein Bericht vor Ort, sondern am Schreibtisch (und oft vom Fernsehbericht abgekupfert) entstanden ist.

Vorsicht gegenüber allen Meldungen, auch den glaubwürdigsten gegenüber, ist das A und O in Italien. So schrieb zum Beispiel 'la Republica‘ an dem Tag, als ihre Reporter den „Guerillakrieg“ aus Cagliari zusammenschwadronierten, auch noch dies: „Der berühmte Kunstkritiker und große Europäer Gille Dorfles ist nach schwerer Krankheit in Houston/Texas verstorben“.

Der freilich meldete sich tags danach fröhlich am Telefon „nicht aus dem Jenseits, sonders gesund und munter aus Mailand“.

Werner Raith