Einsame Erektionen

■ Maxim Biller, Wenn ich einmal reich und tot bin

Maxim Biller ist Jude, 1960 in Prag geboren, lebt in München und schreibt seit längerem für das Zeitgeistmagazin 'Tempo‘. Er ist mir eigentlich immer nur unangenehm aufgefallen: durch Inkompetenz, dümmliche Provokation, alberne Attitüden. Wer allen Ernstes Thomas Meinecke, Diedrich Diedrichsen und Thorsten Becker auf eine Stufe mit Georg Büchner und Gottfried Benn stellt, muß schon unter einer ungehörigen Profilierungsneurose leiden. Wer Jay MicInerney, Bret Easton Ellis, Michael Chabon und Tama Janowitz für das Nonplusultra der Gegenwartsliteratur hält, sollte eigentlich nicht ernst genommen werden. Wer Thomas Hettche für „blöd, blaß, belanglos“ hält, kann keine Ahnung von Literatur haben. Die Reihe seiner Fehltritte ließe sich beliebig fortsetzen.

Wenn solch ein Verbalonanist selbst ein Buch vorlegt, ist man natürlich gespannt, wenn einem zudem per Verlagswerbung versprochen wird, etwas über eine Welt zu erfahren, „von der wir nichts wissen: Die Welt der 30.000 in Deutschland lebenden Juden“, dann ist die Sapnnung doppelt groß.

Um es kurz zu machen: Erstens erfährt man nichts über die „exotische“ Welt der in Deutschland lebenden Juden, was eib halbwegs informierter Zeitgenosse nicht schon wüßte; zweitens ist das Buch nicht nur schlecht geschrieben, sondern auch langweilig; drittens projiziert der Autor Wunschphantasien.

Biller plündert für seine 13 Geschichten schamlos die jüdische Geschichte, die er nicht miterlebt, allenfalls angelesen und in Archiven zusammengesucht hat, verwendet hiervon ein Häppchen und davon ein Häppchen, mischt alles zeitgeistmäßig oberflächlich zusammen, mixt das ganze mit ein paar scheinbar provokanten Pikanterien und sexuellen Sauereien und vertraut auf die „schlechten Gewissen“ der deutschen Feuilletonisten. Biller hat zum eigenen Vorteil clever den umgekehrten Rassismus eingesetzt. Seine Rechnung ist voll aufgegangen. Peter von Becker hat sich zum Beispiel in der 'Süddeutschen Zeitung‘ in einer Eloge dazu verstiegen, Biller in eine Reihe mit Tabori, Woody Allen, Philip Roth, Updike und Tucholsky zu stellen. In der 'FAZ‘ wagte man zwar auch keinen totalen Verriß, erkannte aber immerhin, daß Biller eine Kunst meisterhaft beherrscht, nämlich „sich ins Gespräch zu bringen“.

Nach der Lektüre eines scheinheiligen Elfriede Jelinek -Interviews in 'Tempo‘ ist mir der Verdacht gekommen, daß Biller weiß, was für ein kleines Arschloch er ist, und daß er sein Buch in der Berechnung geschrieben hat, das gesamte deutsche Feuilleton mit seinem „elenden Dilettantenpathos“ zu entlarven. Das würde mir immerhin wieder Bewunderung abringen, wenn ich wüßte, Biller sitzt zuhause und freut sich diebisch über das, was die deutsche Kritikerelite sich angesichts seines Dünnschisses abringt.

Abgesehen davon, daß bis auf eine Geschichte („Harlem Holocaust“) alle anderen belanglos, nichtssagend und überflüssig sind, finde ich an diesem Buch am schlimmsten, daß Biller oftmals seine Figuren denunziert, karikiert und schablonisiert, und zwar so, daß sie exakt in das Klischee passen, das die Nazis auf so furchtbare Weise ideologisert haben. Da ist von unterwürfigen „Hofjuden“, die „häßlich und feige“ sind, die Rede. Da werden von jüdischen Zuhältern, Bauspekulanten und anderen „Unsympathien mit einem weibischen Zug um die Augen“ „Geschäfte ... ohne Rücksicht auf Ehre und Moral“ gemacht. Billers Juden sind „von jeder Form von Sexualität fasziniert“, rennen mit einer „schmerzlichen, traurigen, einsamen Erektion“ durch die Straßen, lassen das „freche beschnittene Ding“ aus der Pyjamahose hängen und sich ihre Liebe für genügend Geld abkaufen. „Frenkel war Jud Süss und Chaim Weizman und Mackie Messer in einem.“ Für mich ist das weder provokant, taktlos noch ein Angriff auf Tabus, wie einige Kritiker geschrieben haben, sondern ganz einfach unverantwortlich und dumm. Man ahnt, welche großen Vorbilder Biller vorgeschwebt haben, aber ich fürchte, nein, ich wette, die Klasse eines Singer, Roth, Bellow, Heller oder Babel wird Biller niemals erreichen.

Wie weit Billers Selbstüberschätzung reicht, kann man an einigen seiner (jugendlichen) Protagonisten, die Selbststilisierungen darstellen, ablesen: „Ich selbst hatte mich manchmal als ein Schulz-Gerstein-Typ gesehen, nur jünger und opportunischer.“ Das, was sich sein Held Warszawski vornimmt, was tatsächlich ein wichtiges Stück Arbeit wäre, bleibt bei Biller nur Lippenbkenntnis: „Er wollte sich über die rechtsradikalen Fußballfans von der Dortmunder Borussenfront auslassen, über die Faschismus -Ästhetisierer unter unseren Künstlern (Merz, Oehlen, Förg), über die Leni Riefenstahl-Manierismen deutscher Werbeleute, über die Macht und den öffentlichen Einfluß der rechten Verleger Frey und Fleissner, über rechtsradikale Skinheads in der DDR, über die kleinbürgerliche und opportunistisch Xenophobie der CDU, über die verängstigte Haßmilitanz unserer Armen und die perfide, gefährliche soziale Gleichgültigkeit der Besitzenden, über die Hakenkreuze und SS-Runen an Schulwänden und Heavy-Metal-Lederjacken, über Habermas‘ Pyrrhus-Sieg gegen Stürmer und Nolte, über Augsteins Hitler-Manie und Schönhubers (doch wohl berechtigte) Tiraden gegen Galinski - also über all das, was gebündelt und von weitem betrachtet wie ein abgründiges Menetekel aussah, wie das neue, große, aufkommende deutsche Nazi-Ding.“

Tja, wenn er das mal geschafft hätte. Es reicht aber halt nur zur Auflistung von Reizworten (Werner Höfer, Philipp Jenninger, Werner Nachmann), zu ein paar Anspielungen (Frankfurter Bahnhofsviertel, Bauspekulation), zu Geschmacklosigkeiten („Ach ja, Claude Lanzmann ... Sein einziges wirkliches historisches Verdienst war, daß er Simone de Beauvoir all die Orgasmen verpaßte, die Sartre ihr schuldig blieb“), zur schamlosen Ausbeutung von fremden Schicksalen (Raymond Federmans Überleben in einem Schrank). All das vorgetragen in überschäumendem Mitteilungsdrang und aufgeschrieben in holprigem Deutsch.

Entweder ist Billers Erstling ein äußerst blamables Debüt oder aber eine große Verarsche. Mir gibt zu denken, daß das Wort „Luftkissenhirn“ mehrmals vorkommt und so entlarvende Sätze wie dieser im Buch zu finden sind: „Mein Kopf fühlte sich so luftig und heiß an wie ein Heliumballon.“

Wolfgang Rüger

Maxim Biller, Wenn ich einmal reich und tot bin. Kiepenheuer & Witsch, 252 Seiten, 29,80 DM