Mit Greiftrupps gegen Aids-Demonstranten

Neue Proteste und Festnahmen begleiten die 6. Welt-Aids-Konferenz in San Francisco / Präsident Bush blieb demonstrativ der Eröffnung fern  ■  Aus San Francisco A. Salmen

Mit einer bewegenden Eröffnungsfeier begann am Mittwoch abend die 6. Welt-Aids-Konferenz. In einer Situation mit weltweit mehr als 700.000 Menschen, die an Aids erkrankt sind, und geschätzten 7-8 Millionen HIV-Infizierten, von denen die Hälfte in Dritte-Welt-Ländern lebt, sei es notwendig, die wissenschaftlichen Erkenntnisse schneller umzusetzen. Dabei dürften Finanzprobleme nicht die Entscheidungen diktieren, so der Konferenzvorsitzende Volberding.

Die Vorsitzende der US-Präsidentenkommission zu Aids, June Osborn aus Chicago, kritisierte erneut die Einreisebeschränkungen für HIV-Infizierte für die USA als „fehlgeleitet und irrational“. Mit einer roten Armbinde protestierte Frau Osborn wie die Mehrheit der Konferenzteilnehmer gegen diese Bestimmungen und verlas in ihrer Eröffnungsrede eine Erklärung der „Nationalen Organisation von Menschen mit Aids“. Die direkte Zusammenarbeit mit denjenigen, die direkt von Aids betroffen sind, sei auch für die Wissenschaft unabdingbar, Aufklärung müsse die Sprache derjenigen sprechen, die sie erreichen soll, und medizinische Versorgung solle jeder erhalten, forderte Osborn. In den USA ist die sündhaft teure AZT -Therapie für viele Aids-Patienten nicht bezahlbar.

Noch entschiedener stimmte der Bürgermeister von San Francisco, Art Agnos, in die Kritik an der US-Regierung ein. Er erinnerte daran, daß mehr Bürger San Franciscos an Aids gestorben sind als in allen Kriegen dieses Jahrhunderts. Er forderte eine angemessene Unterstützung für die US-Städte, die am stärksten unter der Aids-Krise leiden. „Nach dem Erdbeben im letzten Jahr war die Bundesregierung in Wochen in der Lage, mit einem 4-Milliarden-Programm zu helfen. Wenn Banken zusammenbrechen, interveniert diese Regierung ebenfalls mit Millionensummen. Wo ist das Sofortprogramm zu Aids?“ Und er übernahm einen Slogan der Aids-Aktionsgruppen: „Wenn wir unsere Stimme nicht erheben, dann fördert unser Schweigen den Tod.“

Zu Wort kam auch Peter Staley von der Aktionsgruppe „Act-up New York“, der selbst mit Aids lebt. Er griff Präsident George Bush an, der der Eröffnungszeremonie demonstrativ ferngeblieben war und stattdessen an einem Essen für den ultrakonservativen US-Senator Jesse Helms teilnahm. Helms zählt zu den schärfsten Gegnern einer offenen Aids -Aufklärung. Kein einziger Vertreter der US-Regierung nahm an der Eröffnung des Kongresses teil. „Mr. President, ihre Taten töten uns, ihre Worte sind Lügen,“ rief Staley. Eine überraschend große Zahl von Wissenschaftlern stimmte in den Chor ein, als Staley mit anderen Act-up-Aktivisten skandierte: „300.000 Tote durch Aids. Wo war George?“

Vor den Toren des Moscone-Konferenzzentrums, in dem die Plena der Tagung stattfinden, versuchten erneut mehrere hundert Demonstranten - unter ihnen viele Kranke und „Positive“ - in die Konferenz einzudringen. Die Polizei nahm rund 100 Personen fest. Konferenzteilnehmer zeigten sich anschließend schockiert von den Festnahmen und dem Klima dieser Konferenz. Die Sicherheitsvorkehrungen in San Francisco sind im Vergleich zu vorhergehenden Konferenzen sehr scharf. Nervös machten die Sicherheitskräfte insbesondere Aufrufe des Schriftstellers und bekannten Aids -Aktivisten Larry Krämer, der offen zu Krawallen und militanten Aktionen aufrief. Die Presse berichtete am Mittwoch über spezielle Polizei-Greifkommandos auf dem Konferenzgelände.

Mit einer Blockade des Konferenzgeländes konnte in der Nacht auf Mittwoch der freie Zutritt für weitere 150 Menschen mit Aids zur Konferenz erzwungen werden.