Die Konservativen beherrschen Russische KP

Auf dem Gründungskongreß der Russischen KP wurde ein Vorgeschmack auf die Debatten des Anfang Juli beginnenden KPdSU-Parteitages geboten / Alle Plattformen innerhalb der KPdSU sind vertreten, doch dominieren konservative Kräfte / Schattenpräsident ist nun möglich  ■  Aus Moskau Klaus Helge Donath

Noch bei den Wahlen zum 28. Parteitag der KPdSU und zur russischen Parteikonferenz wußten die Delegierten nicht, was sie in Moskau am 19. und 20. Juni erwarten wird. Weder das ZK der KPdSU noch dessen Russisches Büro hatten etwas über die Absicht verlauten lassen, die Parteikonferenz in einen Gründungskongreß umzuwandeln. Doch am Mittwoch schon war die Entscheidung gefallen. Die Russischen Kommunisten verfügen wieder über eine eigene Partei. Am Ende der Sitzung im Kremlpalast sollen bereits die Führungsorgane gewählt und die neuen Strukturen festgeklopft sein.

In seinem Eröffnungsreferat plädierte auch Gorbatschow für dieses Prozedere, obwohl ihm deutlich anzumerken war, wie manche der vorausgehenden Diskussionen ihm an die Nieren gegangen waren. Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte sich der Generalsekreär abwartend gegenüber der Parteigründung verhalten. Grund hierfür: die Initiatoren dieses Vorhabens rekrutierten sich mehrheitlich aus den stramm konservativen Kreisen der Partei, deren Epizentrum im von neokonservativen Kräften bestimmten Leningrader Stadt- und Gebietsparteikommitee zu suchen sind. Der Auftritt Ligatschows am Mittwoch und viele Diskussionsbeiträge bestätigten Gorbatschows Sorge. Denn es wurde klar, daß der konservative Parteiflügel in der Mehrheit war.

Worauf beruht aber auch Gorbatschows Gesinnungswandel? Natürlich läßt sich ersteinmal gegen die Gründung einer eigenständigen KP Rußlands, die 1925 unter Stalin von der KPdSU absorbiert wurde, nichts Stichhaltiges einwenden. Warum sollte gerade die größte Republik der UdSSR keine Parteiorganisation haben, zumal das Imperium von stetiger Erosion bedroht ist, in dessen Folge die einzelnen Republiken berechtigterweise ihre Interessen in den Vordergrund stellen. Auffällig ist, daß das ZK der KPdSU und mit ihm der zentristische Flügel der Partei erst nach der Wahl Jelzins zum Präsidenten der Russischen Föderation (RSFSR) und der Souveränitätserklärung des Obersten Sowjets der Republik in dieser Richtung initiativ wurden. Eine mögliche Erklärung: Lenkte früher das ZK durch die Kandidatenauswahl die Geschicke der Obersten Vertretung der RSFSR, dessen Präsident immer auch Mitglied des Politbüros der Partei gewesen ist, hat sie diesen direkten Zugriff auf die Gesamtpartei jetzt verloren. Wie sollten Unionsorgane ihren Einfluß auf kommunistische Delegierte einer souveränen Republik geltend machen? Der russische Delegierte ist „frei“, da seine Parteimitgliedschaft auf Republiksebene einer organisatorischen Grundlage und somit auch einer Weisungsgebundenheit entbehrt. Die simple Überlegung des Apparates könnte daher darauf hinauslaufen, so schnell wie möglich funktionierende Organe einer RKP zu schaffen, um diesen „missing link“ wiederherzustellen, sprich den Einfluß zurückzugewinnen. Und noch ein Kalkül der Protagonisten des Parteiapparates darf nicht unterschätzt werden. Sollte Gorbatschow unter dem Druck der Konservativen auf dem bevorstehenden 28. Parteikongreß als Generalsekretär nicht wieder bestätigt werden, entstünde für die Konservativen die Chance zu einem erheblichen Positionsgewinn. Indem Gorbatschow nicht mehr auf den Vorsitz zu bestehen scheint übrigens von Jelzin darin bestärkt - hat er gezeigt, daß er die Kräfteverhältnisse richtig einschätzt.

Der neue Generalsekretär könnte die Aufmerksamkeit vom Präsidenten - unter den Bedingungen des Einparteiensystems auf einen neuen potentiellen Gegenkandidaten steuern. Und dieser wäre der frische Erste Sekretär der Russischen KP. Logische Konsequenz wäre eine Doppelherrschaft in Staat und Partei. Als Kandidaten waren bisher nur Konservative im Gespräch: Poloskow, der schon erfolglos ins Rennen um die Präsidentschaft der RSFSR geschickt worden ist, das Flaggschiff der Konservativen, Jegor Ligatschow, und die weniger bekannten ZK-Sekretäre Manajenkow und Baklanow. Doch in allerjüngster Zeit tauchte als Alternative auch der Name des Ministerpräsidenten Ryschkow auf, dessen Tage in der Regierungsverantwortung wegen seines erfolglosen Hantierens mit der Wirtschaftsreform gezählt sein dürften. Er könnte die Rolle eines Kompromißkandidaten zwischen Zentrum und Konservativen spielen. So erweist es sich sogar als Vorteil, daß dem Kongreß keine fertigen und wohldurchdachten Konzepte zur Beschlußfassung vorliegen. Darüberhinaus hat der konservative Flügel noch ein eminent personalpolitisches Interesse. Auf Unionsebene ist der Parteinomenklatura verordnet worden, ordentlich abzuspecken. Doch wohin mit den freigesetzten Kadern? Natürlich in den neuzuschaffenden Parteiapparat!

Zwar ist noch offen, wie sich die 2.744 Delegierten in der „Feinabstimmung“ verhalten. Stürmischen Applaus erntete der Sprecher des Vorbereitungskomitees, Iwan Osadschi, der mit martialischen Worten der Führung der KPdSU vorhielt, sie verurteile die Partei „zum wehrlosen Ausharren in den Schützengräben unter massivem Feuerbeschuß der sich schnell organisierenden antisozialistischen Kräfte“. Die Lage im Lande und im Volksdeputiertenkongreß der RSFSR sähen anders aus, wenn die RKP schon vor den Wahlen zum Kongreß gegründet worden wäre. Osadschie wetterte gegen die Versuche, aus der KPdSU eine „sozialdemokratische, reformistische Partei parlamentarischen Typs“ zu machen. Als Ausweg aus der Krise empfahl er den Marsch zurück zur „kommunistischen Partei Leninschen Typs“. Das gefiel dem Großteil der Delegierten, deren überwiegende Mehrheit sich aus hauptamtlichen Funktionären zusammensetzt - in der Geschichte der Partei nahezu beispiellos. So beklagte ein Delegierter aus der Region Gorki, in einer Delegation seien von 64 Teilnehmern nur sieben Arbeiter und sechs Kolchosangehörige, letztere ausnahmslos Vorsitzende.

Gorbatschow dagegen mußte sich mit mäßigem Beifall begnügen. Kein Wunder, denn er teilte Schläge nach rechts und links aus. An die Adresse der „Demokratischen Plattform“ richtete er den Vorwurf der Destruktion: Die Errichtung einer parlamentarischen KP „würde zur Zerstörung der KPdSU von innen heraus führen und sie von der politischen Bildfläche tilgen“. Den Konservativen, die sich hinter der „Marxistischen Plattform“ formiert haben, warf er vor, sie hätten mit ihren Konzepten kein Verhältnis zur Realität.