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„Was geheim war, soll geheim bleiben“

Trauer und Wut wegen der verlorengegangenen Ruhe / Lesen wollen die Stasi-Listen alle, aber die „Veröffentlichung finde ich nicht gut“ / Diskussionen in Theatern, Fabriken und beim Zoll / Ex-Stasi-Mitarbeiter: „Es gab viele Bereiche, für die der ehrliche Arbeiter dankbar war“  ■  Aus Berlin Petra Bornhöft

„Mein Meister hat mich geschickt. Können Sie mir fünf Listen mit den ehemaligen Stasi-Objekten geben?“, fragt der Schlosser im Blaumann aus einer Zigarettenfabrik. Gleich 20 Stück verlangen die Herren, die erst nach langem Zögern sagen, daß sie bei der Fluggesellschaft Interflug arbeiten.

Hier wie beim Staatstheater, dem ehemaligen Fleischkombinat, dem Deutschen Filmarchiv, den Grenztruppen, der HO-Filiale Friedrichshagen, dem Berliner Ensemble oder dem Fernamt ist den Berichten der Käufer zufolge der taz -Sonderdruck Kantinengespräch.

Auch die Zöllner vom Potsdamer Platz haben einen Kollegen in die Räume der DDR-taz an der Oberwasserstraße 12 geschickt, um mehrere Exemplare der „Heimatkunde“ - 9.251 Anschriften ehemaliger Stasi-Objekte auf einen Blick - zu erstehen. Der 25jährige Zöllner enthält sich zunächst jeden Kommentars, warum ihn die Liste interessiert. Nicht so die anderen. Auskunft über die eigene neu bezogene Wohnung, Aufklärung früherer Verdachtsmomente, Neugier auf Vergangenes. Haßerfüllte beschränken sich auf anonyme Anrufe: „Sauerei,“, „Ich werde Sie anzeigen“, „Wenn bei uns die Scheiben klirren, bringe ich Sie um“, „Am 26. Juni geht der erste Sprengsatz hoch“.

Ungleich häufiger indes formuliert sich Unverständnis darüber, daß die taz sich über „die Entscheidungen staatlicher Organe und der Parteien hinweggesetzt habe. Ich dachte, jetzt würde endlich wieder Ruhe herrschen“. Schließlich habe doch auch die 'Berliner Zeitung‘ die Listen nicht veröffentlicht. Deren journalistisches „Berufsethos“ bestand bekanntlich vier Jahrzehnte darin, nur das zu drucken, was die Herren vom SED-Zentralkomitee diktierten. Den Widerspruch vieler KäuferInnen bringt die Frau vom Filmarchiv auf den Punkt: „Eigentlich finde ich es nicht gut, daß Sie das veröffentlichen. Es ist zu gefährlich. Aber irgendwie finde ich das Leseangebot auch toll.“

„Nicht bei uns, bei

denen da oben prüfen“

Gar nicht toll, sondern als „unverschämten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“ empfindet der Grenzer am Potsdamer Platz die Publikation. Er stellt sich, wie viele DDR -BürgerInnen, die Aufarbeitung der Vergangenheit so vor, „daß bei den hohen Verantwortlichen geprüft wird, ob sie gegen die Verfassung verstoßen haben oder nicht. Das muß dem Staat überlassen bleiben.“ Tatsächlich? Ist es nicht gerade eine Erfahrung auch von 40 Jahren DDR, daß die Unterdrückung öffentlicher Diskussion und Kontrolle nichts anderes als ein Unrechtssystem schützt?

Der Grenzer will nicht weiter darüber reden. Einige Schritte entfernt in einer Baracke sitzt der Zöllner, der kurz vorher den taz-Sonderdruck mit der Adressenliste besorgt hat. Vier von fünf Kollegen haben früher bei der Stasi gearbeitet, wie sie erzählen, werden sie in den nächsten Tagen versetzt oder arbeitslos.

Die Veröffentlichung der Listen sei „schlimm“, beinhalte eine neuerliche „Ausgrenzung“ derjenigen, „auf denen die Vergangenheit schon genug lastet“, meint ein 27jähriger. Er ist davon überzeugt, daß die Stasi „viele Aufgaben erfüllt hat, für die der ehrliche Arbeiter dankbar war“, zum Beispiel die Flugsicherheit, die Spionage- und Schmuggelabwehr. Jetzt würden „Leute diskreditiert, die eine gute Sache machen wollten, die die Sicherheit des Staates als Lebensaufgabe betrachteten“.

Er selbst war in der Hauptabteilung 19 für die „Sicherung des Post- und Fernmeldewesens“ tätig. Die „Zusammenarbeit“ mit den Technikern im Ost-Berliner Fernsehturm sei keine „Überwachung“ gewesen, sondern habe der „Sicherheit“, dem „Herausfinden von Angriffsmöglichkeiten für den Gegner“ gedient. Techniker, die „die Lage in der DDR real, aber nicht im Sinne des Staates einschätzten, konnten zum Risikofaktor werden. Ihre Haltung zum Staat garantierte den Arbeitsplatz - oder eben nicht.“ - „Etwas überzogen“ seien die Maßnahmen vielleicht manchmal gewesen. Aber es wurde nicht jeder wie Robert Havemann behandelt.

Untereinander, in der Zollbaracke, hätten sie sich „freigeredet“, im großen Kreis würde keiner über das Vergangene sprechen. Durch die Veröffentlichung der Listen befürchten sie, „daß nun auch noch die Verwandschaft uns anklagt“ . Warum sollte ihnen diese Diskussion erspart bleiben? „Wir haben doch nur nach dem Prinzip des militärischen Gehorsams gehandelt.“ Mit einem etwas wehmütigen Blick meint ein 42jähriger Ex-Stasiist: „Auch wenn ich nicht alles gut heiße, aber vor dem 9.November 1989 war hier vieles ruhiger, weil es unter Kontrolle war.“ Die Veröffentlichung werde in Berlin wohl kaum zu Gewalttätigkeiten führen, aber im „reaktionären Süden sei die Gefahr von Übergriffen groß“.

„Nicht Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, sondern Aufklärung“, entschied dagegen der Ostberliner Magistrat. Deshalb werden die Listen offiziell in den 115 Bibliotheken der Hauptstadt auslegt.

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