Checkpoint Charlie: Ein Medienstar tritt ab

■ Nach dem Fall der Mauer kommt nun auch der „Checkpoint Charlie“, der Vorposten der freien Welt, unter die Spitzhacke / Wo einst Weltgeschichte zum Anfassen gemacht wurde, verabschieden heute Politiker aller vier Siegermächte eine Epoche

Berlin (taz) - Ob die Freiheit der Welt in Berlin gegen die bösen Kommunisten verteidigt werde, wie es der US-Präsident Kennedy verkündete, das war den Kindern ziemlich egal. Kinderfest zur Beruhigung der Bevölkerung, lautete der Tagesbefehl des Stabes der psychologischen Kriegsführung. Zwischen den drohend aufgefahrenen Panzern herumturnend, verteidigten die Kinder allein die erkämpften Süßigkeiten gegen die bösen Schulkameraden. West is the best, schon allein wegen der Bonbons der Amerikaner, lautete die simple Gleichung, mochte die Welt der Erwachsenen im Oktober 1961 auch den Atem anhalten und von der bedrohlichsten militärischen Konfrontation sprechen. Hochgerüstet standen sich - zwei Monate nach Bau der Mauer - die Armeen von Ost und West gegenüber. Die Bewunderung galt höchstens den amerikanischen Scharfschützen hoch droben in den toten Fensterhöhlen der Ruinen der Friedrichstraße, während drunten das Hinterhofkino Remarques Anti-Kriegsfilm -Klassiker Im Westen nichts Neues spielte.

Als alles vorbei war, die Alliierten wieder unkontrolliert in den Ostsektor Berlins einfuhren durften, war der Medienstar des kalten Kriegs geboren: Fortan war der „Checkpoint Charlie“ das Symbol des westlichen Vorpostens im Ostblock: Weltgeschichte zum Anfassen, wie die Tourismusbranche bald erkannte. Wenn die Amerikaner bis zur Öffnung der Mauer auch nicht wußten, wo Berlin eigentlich liegt - den Checkpoint kannte jeder.

Nun ist Schluß damit; nach dem Abriß wird der Kontrollpunkt nur noch als Kulisse von ebenso zahllosen wie schlechten Spionagefilmen der letzten dreißig Jahre weiterleben. Und wem es gelang, wie vor vier Jahren dem Fahrer eines Schwerlasters mit seiner Familie ausgerechnet hier durchzubrechen, dem konnte die besondere Medienaufmerksamkeit sicher sein.

Die Flucht in alliierten Armeeuniformen vor zwei Jahren, die sich als Fake eines geldgeilen Betrügers herausstellte, brauchte es nicht - dazu war die Realität bunt und manchmal schmuddelig genug. Dem „König der Fluchthelfer“ gelang es, 1.200 Menschen mit gefälschten alliierten Pässen als Diplomaten in die „Freiheit“ zu schmuggeln, sofern die Handelsware dieselbe in viel Geld buchstabieren konnte.

Einem DDR-Bürger glückte es gar, die Grenzer sprachlich derart zu verwirren, daß sie ihn schließlich als einen vom Westen einreisenden Ausländer einstuften - und wieder zurückschickten.

Den Ruhm der alliierten Kontrollstelle konnten auch die Tauwetterzeiten nicht beeinträchtigen, erst die Öffnung der Mauer machte die meistfotografierten Soldaten der Welt zur anachronistischen Reminiszenz einer abgeschlossenen Epoche, nur der Schweizer Garde des Papstes zu vergleichen. Das Welttheater hat sich andere Bühnen erkoren. Wo auch der Ostblock volle Geschäfte haben will, da braucht es die Wächter vorm Schaufenster des Westens nicht länger. Nun wird abgerissen im Beisein vieler Politiker. Die Außenminister der drei Westmächte Douglas Hurd (Großbritannien), James Baker (USA), Roland Dumas (Frankreich) sowie die deutschen Außenminister Genscher und Meckel wollen den historischen Moment nicht verpassen. Ob der sowjetische Außenminister Schewardnadse kommt, ist bislang noch nicht klar. Die Kontrollbaracke wird komplett einem Museum übergeben. Daß viel geredet wird, ist sicher, nur ein Kinderfest gibt es nicht.

Gerd Nowakowski