Ältere Arbeitnehmer ab ins Seniorentheater?

■ Ost-Berlin bereitet sich auf mindestens 30.000 Sozialhilfeempfänger vor / Interview mit dem neuen Sozialstadtrat Wolfgang Sparing / Der CDU-Politiker hofft noch, daß in Ost-Berlin Obdachlosigkeit gar nicht erst entsteht

Ost-Berlin. Der 43jährige Wolfgang Sparing, Sozialstadtrat in Ost-Berlin, kam eher durch Zufall dazu, sich mit dem Thema Sozialwesen eingehender zu beschäftigen. Der gelernte Diplomingeneur für Kraftfahrzeugtechnik ist seit 1974 Mitglied der CDU und dort seit 1980 aktiv im Berliner Landesvorstand tätig. Dort war er zunächst für Wirtschaftswesen zuständig. Personalmangel in der Partei und eine „emotionale Verbundenheit“ veranlaßten ihn, sich verstärkt um den sozialen Bereich zu kümmern. Im Februar 1990 wurde er zum Berliner Landessekretär der CDU gewählt und seit dem 31. Mai ist Sparing als Stadtrat für die sozialen Belange der OstberlinerInnen zuständig.

taz: Nach welchen Kriterien wird ab dem 1. Juli in Ost -Berlin Sozialhilfe vergeben?

Wolfgang Sparing: Es wird nicht mehr so sein, daß der Staat auf den Betroffenen zukommt und sagt: „Du bedarfst einer Sozialhilfeleistung und Unterstützung, das wird dir gewährt“, sondern daß der Bürger aus eigenem Ermessen sehen muß, daß er sozial nicht abgesichert ist, mit diesem Problem auf das Sozialamt zukommt und dort entsprechend der Bedingungen den Betrag beantragt, der ihm per Gesetzlichkeit zusteht. Laut dem noch nicht verabschiedetem Sozialhilfegesetz (der DDR, d.Red) liegt der Regelsatz bei 400 D-Mark.

Wie läuft es dann konkret für den, der davon betroffen ist?

Der Bürger muß zu seinem Stadtbezirksamt gehen und dort erfolgt dann das konkrete vertrauensvolle beratende Gespräch durch den entsprechenden Mitarbeiter im Sozialamt.

Wie weit ist der Aufbau der bezirklichen Sozialämter bereits fortgeschritten?

In dieser Woche lief ein zweitägiger Fortbildungskurs in der Charite, geleitet von Mitarbeitern der Westberliner Senatssozialverwaltung. Jeder Rat des Stadtbezirks hat dorthin zehn Mitarbeiter delegiert, die zwar nicht unbedingt langfristig den Bereich Sozialhilfe bearbeiten werden, aber konkret ab dem 2. Juli für alle Antragssteller zur Verfügung stehen.

Wird der Antrag auf Sozialhilfe bewilligt, kann sich der Bürger das Geld dann direkt an den Bezirksämtern abholen?

Ja. Es wird Aufgabe des Sozialamtes sein, einen Kassenbereich zu haben, der die Auszahlung konkret veranlaßt. Und nicht, wie es bisher üblich war, daß es nur über die Abteilung Finanzen des Rates des Stadtbezirks lief.

Inwieweit werden Fürsorgeberechtigte - Eltern, Ehepartner - mit herangezogen?

Das wird adäquat so sein wie in der BRD, das heißt, das Einkommen der Eltern und Ehepartner wird überprüft und gegebenenfalls mit herangezogen. Die Kindergeldzahlung wird wohl erstmal auf dem jetzigen Stand beibehalten. Bis zum Ende des Jahres gibt es auf jeden Fall weiter Kindergeld, danach wird dieser Anteil auch Berücksichtigung bei der Berechnung der Sozialhilfe finden.

Die durchschnittliche Rente in der DDR liegt bei knapp 400 Mark. Sie soll jetzt zwar um 100 Mark aufgestockt werden, dennoch liegen dann noch immer viele unter dem Sozialhilfesatz. Werden alle Rentner künftig Sozialhilfeempfänger?

Unsere Rentner sind stolzer als viele, die sehr viel Geld verdienen. Die werden dieses Angebot - sie sind ja berechtigt, auch Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen - meines Erachtens gar nicht so sehr aufgreifen. Auch bei Rentenbedingugnen um die 200 Mark hat kaum mal einer Klage geführt, daß er nicht gut über die Runden käme. Meist sind es die Frauen, die davon betroffen sind, die trotz der eischneidenden Maßnahmen klarkommen und sich ihren Stolz bewahren. Anträge auf Sozialhilfe werden eher von der jüngeren Bevölkerung kommen, die jetzt vielleicht noch Arbeitslosenunterstützung bekommen. Und da kommt es dann darauf an, die Hilfe zur Selbsthilfe zu unterstützen, indem das Angebot zur Integration in den Arbeitsprozeß gemacht wird. Das ist dann die Aufgabe der Sozialarbeiter vor allem in den Bezirksämtern.

Mit wieviel Sozialhilfeempfängern rechnen Sie in den nächsten Monaten?

Ost-Berlin geht ja nun leider auf die 100.000 Arbeitslose zu und die Formel, von der man da ausgeht, ist etwa ein Drittel: Das heißt, wir gehen etwa von 30.000 Antragsstellern aus.

Es wird in Zukunft vermehrt sogenannte „einkommensschwache“ Menschen geben, gleichzeitig steigen die Mieten. Inwieweit wollen Sie Vorsorge treffen, damit diese Menschen Wohnmöglichkeiten er- und behalten?

Wir müssen ein sofort verfügbares Angebot haben, das ist richtig. Es gibt im Prinzip keine freien Wohnungen und wir haben 50.000 Wohnungssuchende auch in Ost-Berlin. Bisher gibt es den Fall Obdachlosigkeit bei uns ja noch gar nicht und ich hoffe, es wird ihn auch nicht geben.

Nach dem Arbeitsgesetzbuch der DDR waren Betriebe bislang verpflichtet, Menschen im Vorrentenalter entsprechend ihren Fähigkeiten zu beschäftigen. Das wird sich jetzt wohl ändern.

Für diese Menschen, genauso wie für Rentner, die aufgrund fehlender Arbeitskräfte immer heftig umworben waren, wird es wohl kaum noch Arbeitsmöglichkeiten geben, weil jetzt jeder Betrieb effektiv arbeiten muß. Hier ist es dann unsere Aufgabe, kulturelle Angebote für diese Betroffenen zu machen, Weiterbildung und Seniorentheater, aber auch Möglichkeiten für Selbsthilfe untereinander.

Stichwort kommunales Ausländerwahlrecht: Im Westen steht der Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes noch aus, hier existiert das Gesetz bereits. Angenommen, der Gerichtsbeschluß fällt negativ aus...?

Artikel 23 bedeutet nicht bedingungslose Übernahme, sondern auch Verhandlungen. Ich würde meinen, ohne mich gegen meine CDU-Freunde im Westen setzen zu wollen, daß das weiter diskutiert werden muß. Aber: Warum sollte der Ausländer, der hier seit Jahren ansässig ist, nicht die Möglichkeit der kommunalen Mitbestimmung haben? Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen. Die rechtlichen Bedingungen sollten für alle, die hier leben, gleich sein.

Was ist für Sie ein „soziales Berlin“?

Primär, daß jeder Berliner, ob Staatsbürger dieses Landes oder nicht, sich dem anderem verpflichtet fühlt - mit der sozialen Sicherheit, die die Kommune und das Land zu bieten hat, so daß keiner durch ein Netz sozialer Sicherung fallen kann. Das heißt: Recht auf Wohnraum, ein ausreichendes Arbeitsangebot, ergänzt durch kulturelle Angebote und politische Mitwirkung. Schulangebot und -pflicht für jeden, vollständige Integration von Ausländern sowie geistig und körperlich Behinderter.

Interview: Martina Habersetzer