Biedermannfußball

■ Das 1:1 Hollands gegen Irland war kaum des Zusehens wert / Gullit wieder im Kommen - zumindest verbal

Palermo (taz) - Die Frage ist: haben die Palermitaner das wirklich verdient? „Ein halbes Dutzend Tote beim überhasteten und dilettantischen Stadionausbau“, zählt Carlo d'Onofrio von den Grünen auf, „ein Stadion für 45.000 Zuschauer, das nur einmal voll war und künftig einfach so als Fremdkörper herumstehen wird; fünfhundert Familien aus den Häusern vertrieben, die man zum Ausbau abreißen mußte und dann auch noch Partien wie diese, die von den 90 Minuten kaum zwei wirklich zum Ansehen lohnten“.

So kann freilich nur einer reden, der an diesem Abend nicht zu den Anhängern jenes Honigkuchenmannes gehört, der seit der zehnten Minute übers ganze Gesicht strahlt, auch wenn er danach wieder in alter Manier eher die Luft denn den Ball trifft: Ruud Gullit, Schütze des 1:0 der Holländer, mit einem schönen und bulligen Treffer, schien plötzlich wieder an alte Zeiten anzuknüpfen, wo kaum eine Partie beim AS Milan ohne einen Treffer aus seiner Hinterpfote oder von seinem Zöpfchenkopf zu Ende ging.

Doch das eine Tor war's denn auch schon, zwar hastete das einst unbestrittene Idol des Kraftfußballs fleißig kreuz und quer über den holprigen und mittlerweile der Sonneneinstrahlung bräunend zum Opfer fallenden Rasen des „Favorita„-Stadions, doch im wesentlichen ergab sich im entschiedenen Augenblick Gestolper oder deutlich fehlendes Zielwasser.

Auf der anderen Seite nicht viel besser: spektakulär, immerhin, die Entscheidung der Iren, einmal ganz unkonventionell zwei Spieler auf einmal auszuwechseln. Und kurz danach dann, in der 66. Minute, der von den zumindest einmal nach einem spannenden Spiel gierenden Paleritanern (ansonsten war das Stadion gut zur Hälfte mit orangegekleideten Holländern und grünweißen Iren besetzt) erhoffte Ausgleich durch Quinn nach einer verunglückten Rückgabe der Holländer zum Tormann.

Was dann folgte - ja, das gehörte zu jener Sorte WM-Partie, die man mittlerweile als „Nullsummenspiel“ kennt: da beide Teams mit dem Unentschieden qualifiziert sind, schiebt man sich den Ball gegenseitig zum Zeitschinden zu, ängstlich bemüht, weit am gegnerischen Tor vorbeizuschießen - was bei der miesen Qualität der Schützen und der Rückgabekünstler der Weltkicker (siehe das 1:1) eine keineswegs ungefährliche Tätigkeit darstellt.

Die Palermitaner, angeleitet durch einige WM-Zuschau -Veteranen, skandierten jedenfalls schon eine Viertelstunde vor Schluß „Austria, Germania“ in Anlehnung an das einschlägige Pilotprojekt der deutschen und österreichischen Ballkünstler vor acht Jahren in Spanien. Doch die Profis ließen sich nicht rausbringen, auch nicht durch den offenbar zum Sadismus neigenden französischen Schiedsrichter, der volle drei Minuten nachgähnen ließ - wahrscheinlich die Rache dafür, daß die spektakulärsten Aktionen während des Spiels für ihn die Ermahnungen einiger Spieler waren, die Hemden in die Hosen zu stecken.

Ruud Gullit dagegen war ganz, ganz zufrieden - das Tor hat ihm zwar weder seine alte Spielkraft noch seinen Spielwitz wiedergegeben, wohl aber die Kraftattitüde von anno dazumal: „Ich weiß noch nicht, gegen wen wir nun antreten werden,“ sagte er gleich nach der Partie, „gegen Rumänien oder gegen Deutschland. Mir wäre Deutschland jedenfalls lieber.“

„In bocca lupo“, was ungefähr „Hals- und Beinbruch“ entspricht, entfuhr es dagegen, in schön erlerntem Mailänderisch, seinem offenbar realistischer denkenden Teamkollegen Van Basten, als er ein paar Minuten danach erfuhr, daß die Deutschen tatsächlich die nächsten Gegner der Holländer sein werden.

Werner Raith

Irland: Bonner - McGrath, McCarthy, Morris, Staunton Hougthon, Moran, Townsend, Sheedy (61. Whelan) - Quinn, Aldridge (61. Cascarino)

Niederlande: van Breukelen - Koeman - van Aerle, Rijkaard, van Tiggelen - Wouters, Witschge (59. Fraeser), Gillhaus, Gullit - van Basten, Kieft (79. van Loen)

Zuschauer: 33.288

Tore: 0:1 Gullit (11.), 1:1 Quinn (71.)