Die DDR-Wissenschaft wird abgeholzt

Die Akademie der Wissenschaften geht düsteren Zeiten entgegen: Strategien für Massenentlassungen werden bereits vorbereitet Gravierende Mittelkürzungen bedeuten das Aus für mindestens 6.000 MitarbeiterInnen / Der Präsident wartet auf seine Inthronisierung  ■  Aus Berlin Bärbel Petersen

Der Präsidenten-Stuhl ist noch immer nicht besetzt. Sein künftiger Inhaber, Gerhard Klinkmann, wartet seit dem 17. Mai auf seine öffentliche Amtseinführung als neuer Leiter der Akademie der Wissenschaften (AdW) der DDR. An diesem Tag sind Klinkmann und sein Vizepräsident Siegfried Nowak vom Konzilium der Akademie demokratisch an die Spitze des Wissenschaftsapparats der Hauptstadt gewählt worden. Seitdem harren sie, schon zweimal vertröstet, ihrer offiziellen Einsetzung entgegen.

Doch die läßt auf sich warten. Liegt es an Lothar de Maiziere? Findet der DDR-Ministerpräsident keine Zeit, die von ihm gewünschte Amtseinführung persönlich vorzunehmen? Werden die Wahl Klinkmanns und das neue Statut der AdW nicht akzeptiert? Blockiert die „alte Garde“ in der Akademie den Reformprozeß mit dem überfälligen Wechsel an der Spitze? Oder mischen das Bonner Ministerium für Forschung und Technologie (BMFT) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Hintergrund schon kräftig mit?

Nur eines ist gegenwärtig sicher: So wie bisher geht es mit der AdW nicht weiter, sie muß reformiert werden. Während die meisten Wissenschaftler darunter eine grundsätzliche Neugestaltung der Einrichtung mit ihren 24.000 Mitarbeitern verstehen, setzen andere vor allem auf Einsparung von Geldern und Personal. Zu ihnen gehört vor allem Finanzminister Romberg (SPD), der sich die Akademie in seinem Haushaltsplan schon mal kräftig zur Brust nahm. Während die AdW früher eine selbständige Planposition im Staatshaushalt hatte, ist sie nunmehr auf einen Einzelposten im Gesamtplan des Ministeriums für Forschung und Technologie geschrumpft.

Wie aus dem Haushaltsplanentwurf vom 18. Mai hervorgeht, an dem auch das Bonner BMFT mitgestrickt haben soll, werden die Mittel drastisch gekürzt. Der von der Akademie angemeldete Bedarf beläuft sich auf 578,6 Millionen DM. Dieser Ansatz wurde auf die Hälfte eingedampft. Der AdW werden nur 297,1 Millionen DM zugestanden, die folgendermaßen verteilt sind: Die mathematisch-naturwissenschaftliche Forschung bekommt 225 Millionen DM, die sozial-und geisteswissenschaftliche wird mit 9,3 Millionen DM bedacht und für die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit plus Erwachsenenqualifizierung sind 5,7 Millionen DM vorgesehen. Hinzu kommt noch ein Sonderposten von 57,1 Millionen DM Investmittel.

Auch Akademie-Verlag von Kahlschlag bedroht

Die Dienstleistungs- und produzierenden Einrichtungen erhalten dagegen ab 1. Juli keinen Pfenning mehr. Betroffen von diesem Kahlschlag sind vor allem der Akademie-Verlag, der Wissenschaftliche Gerätebau und andere produzierende Einrichtungen, zum Beispiel die Isotopenproduktion. Sie sollen ihre Gelder künftig selbst erwirtschaften oder - noch besser - sich am besten gleich auflösen. Von der ursprünglich anvisierten Anschubfinanzierung für diesen Bereich in Höhe von 100 Millionen DM ist inzwischen keine Rede mehr.

Der Kahlschlag geht auf Kosten der Beschäftigten, von denen mindestens 6.000 am 1.August sofort entlassen werden. Am Dienstag wies der Vorstand der Forschungsgemeinschaft der Akademie schon mal alle Institutsdirektoren an, Entlassungsstrategien zu erarbeiten. Ein Akademie -Mitarbeiter zur taz: „Die Kolonialisierung der DDR -Wissenschaft hat begonnen“.

Noch vor einer Woche versprach der zuständige Minister für Forschung und Technologie, Frank Terpe, den Akademie -Mitarbeitern eine soziale Absicherung für eine Übergangszeit von einem oder anderthalb Jahren, in der sich die Akademie in Ruhe umstrukturieren könnte. Aber wie will er dieses Moratorium finanzieren? Jetzt sieht alles danach aus, daß die Akademie durch drastische Mittelkürzungen ganz einfach wegrationalisiert werden soll. Für eine radikale Erneuerung werden die materiellen Grundlagen entzogen. Eine Reform, so glauben nicht wenige Akademie-Wissenschaftler, soll schon erstickt werden, bevor sie überhaupt anfängt eine zu werden.

Und es gibt auch schon Verteilungsstrategien für die Konkursmasse: Die Forschungsinstitute der Akademie sollen den künftigen Ländern zugeordnet werden, die sich dann auch ihrer Finanzierung annehmen müssen. Ganz nach bundesdeutschem Modell! Weg von der Forschungsgemeinschaft als Großverband, da sie eh nur ein großer und zusätzlicher Fresser am Trog der Forschungsmittel im neuen Deutschland wäre.

Die augenblicklich weitgehendste Auflösungs-Variante ist die Reduzierung der Akademie auf eine Berlin -Brandenburgische Gelehrten-Akademie. Das bedeutet: Die Ende April legitimierte Einheit der Gelehrtengesellschaft und Forschungsgemeinschaft unter dem gemeinsamen Dach der Akademie wird knapp sechs Wochen später wieder in Frage gestellt. Daß dies auf Wunsch und Drängen von BMFT und DFG geschieht, ist in Akademie-Kreisen ein offenes Geheimnis. Terpes Hoffnung, daß sich einige Akademie-Institute (von einem internationalen Gutachtergremium ausgewählt) in die Max-Planck-Gesellschaft oder die Fraunhofer-Gesellschaft integrieren ließen, wird zunehmend illusorisch. „Die denken gar nicht daran, mit uns zu fusionieren“, schätzen die Akademie-Mitarbeiter ihre Zukunft ein. Auch Terpes Glaube, daß sich einige der früher aus Universitäten hervorgegangenen Akademieinstitute wieder an die Universitäten anbinden ließen, wird nur noch belächelt, zumal die DDR-Unis selbst ums Überleben kämpfen und kräftig Stellen abbauen müssen.

Die wohlgemeinten Ratschläge aus dem Westen scheinen in der DDR-Regierung auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Der Bonner DFG-Präsident Hubert Markl funkt gen Osten: „Die DFG rät davon ab, für eine knappe Übergangszeit ein paralleles Forschungssystem aufzubauen“. Ganz andere Töne schlägt Wolf -Michael Catenhusen (SPD-West) an. Er verlangt vom BMFT-Chef Riesenhuber ein Sofortprogramm und eine mittelfristige Finanzplanung zur Absicherung der DDR-Wissenschaft. Ansonsten befürchtet er in der Wissenschaftsregion DDR „einen Kahlschlag“. Das will angeblich auch Riesenhuber nicht, der sich mit seinem DDR-Kollegen darüber einig ist, daß es nicht zur Ausdünnung der Forschungslandschaft kommen darf. Doch die Entscheidungen der letzten Tage, die dramatischen Mittelkürzungen und Entlassungsszenarien sprechen eine andere Sprache.